DIE KULTUSMINISTER REDEN SICH DAS SCHULSYSTEM SCHÖN
: Verfassungsfeinde im Ministerrang

Die Situation mutet an wie in der DDR. In den Endzügen dieses famosen Systems entstand eine immer unerträglicher werdende Spannung. Jeder konnte sehen, wie schlecht die Verhältnisse waren und wie unzufrieden die Menschen. Die Regierenden um Erich und Margot Honecker aber redeten sich die Situation schön – und glaubten wohl selbst an ihre Beschwörungsformeln. Nur hatte das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Ganz ähnlich geht es uns heute mit den Schulen.

Die Mängel der Schulen sind allzu offensichtlich. Jeder kann erkennen, wie die Lehranstalten die Schüler demotivieren und ihrer Talente berauben. Wie sie die Eltern wütend machen. Nur die Kultusminister sehen das anders. Sie geben Durchhalteparolen aus. Sie beschimpfen alle, die es wagen, auf die Unzulänglichkeiten des Schulsystems hinzuweisen. Und sie kommen, wie es ihre Vorsitzende Doris Ahnen gerade getan hat, zu kunstvollen Verdrehungen der Wirklichkeit. Die neue Lehrerstudie der OECD fällt ein sehr kritisches Urteil über den Berufsstand – Frau Präsidentin aber konzentriert sich auf die wenigen Punkte, die am deutschen System angeblich „positiv und einzigartig“ sind.

Das Grundgesetz dieses Landes setzt Maßstäbe. Die Menschen, so steht es in Artikel 3, sind von Geburt an gleich. Und sie haben das natürliche Recht, heißt es in Artikel 2, sich frei zu entfalten. Minister sind dazu da, diese papierenen Garantien Wirklichkeit werden zu lassen. Deutschlands Schulen werden aber den Anforderungen der Verfassung längst nicht mehr gerecht. Internationale Studien und die Erfahrung der Bürger sagen das allzu deutlich. Innerhalb des Landes gibt es beim Lerntempo Unterschiede von mehr als zwei Schuljahren. Ein Arztsohn kommt heute – bei gleicher Leistung! – mit sechsmal höherer Wahrscheinlichkeit aufs Gymnasium als ein Arbeiterkind.

Politisch verantwortlich für diese Situation sind die Kultusminister. Obwohl sie ihren Amtseid auf die Verfassung abgelegt haben, ändern sie nichts an den Zustanden. Sie weigern sich, ernsthaft etwas zu unternehmen. Man kann sagen: Sie verstoßen gegen die Verfassung, ja, sie sind inzwischen ihre Feinde. CHRISTIAN FÜLLER