In eigener Sache: Das Ende des Gartenzauns

Das Internet ist kein Thema, das nur Spezialisten interessiert. Es braucht deshalb auch keine Sonderseite mehr

Acht Jahre lang hat diese Zeitung dem Internet jede Woche eine eigene Seite reserviert. Heute erscheint sie zum letzten Mal – sie hat ihre Funktion erfüllt. Niemand muss mehr eigens darauf hingewiesen werden, dass es das Internet gibt. Es ist alltäglich geworden, Mails zu versenden und im Web nach Informationen zu suchen.

Ob wir dort aber auch finden, was wir suchten, ist schon nicht mehr so sicher. Alltäglich ist das Internet geworden, aber noch lange nicht selbstverständlich. Wer es wirklich benutzen will, muss immer noch ein wenig mehr davon verstehen als vom Telefon. An Stoff hat es dieser Seite daher noch nie gefehlt, mehr als eine kleine Auswahl der Themen, die täglich mit neuen, wichtigen, oder auch nur angeblich wichtigen Informationen auf die Redaktion einstürmen, konnte auf diesem beschränkten Platz nie behandelt werden.

Diese Mangelwirtschaft hat nun ein Ende: In dieser Zeitung, die ein wenig früher als andere begriffen hat, was das Internet ist, darf es von jetzt an jeder Stelle ein Thema werden, und zwar immer dann, wenn es die Sache selbst erfordert, wenn eine Nachricht aktuell ist, und nicht erst dann, wenn die dafür reservierte Seite erscheint. Denn eines ist das Internet ganz sicher nicht: ein Sondergebiet für Spezialisten, die hinter einem Gartenzaun eingesperrt werden müssen, weil sie sonst den anderen auf die Nerven gehen.

Vor acht Jahren allerdings mochte es vielen so erscheinen. Die Einrichtung dieser Sonderseite hat diesem Bedürfnis Rechnung getragen, aber ihr Inhalt hat ihm von Anfang an widersprochen. „Ein unendliches Buch“ sei das Internet, hatte ich damals zur Eröffnung geschrieben, etwas arg optimistisch nur insofern, als die Medienindustrie sich alsbald daranmachte, dieses Buch als unendliche Werbesendung zu missbrauchen. Sie stößt sichtbar an ihre Grenzen, unsinnig viel Kapital ist in Schwindelgeschäften verbraucht worden, die völlig zu Unrecht unter dem Namen einer „New Economy“ auftraten. Was davon übrig blieb, ist tatsächlich nur dieses „Buch“, von dem ich damals meinte, es sei „unendlich“, weil es von seinen Lesern immerzu fortgeschrieben werde.

Von seinen Lesern, nicht von Informationstechnikern und Medienspezialisten. Nur das war gemeint mit dem Schlagwort der „New Economy“. Die höchst realen Erfolgsgeschichten wie diejenige der Auktionsplattform eBay oder der Tauschbörse Napster und ihrer Nachfolgerinnen, beweisen heute auch ökonomisch die Wirksamkeit dieses Prinzips. Das Internet ist das Medium der User. Das sind heute keine Computerjungs mehr. Wir alle sind User des Internets, und wir sind es, die dort handeln, Daten tauschen, reden, chatten – und das auf jedem Niveau.

Es ist diese in seiner technischen Struktur selbst verankerte Eigenschaft, die das Internet zum Motor einer neuen Kultur gemacht hat. Eine digitale Welt ist entstanden, die in jede Biografie eindringt, ihre eigenen Symbole, Mythen und Moden hervorbringt.

Von Samstag an steht diesem Thema unter dem Titel „Gesellschaft und Kommunikation“ der angemessene Platz in dieser Zeitung zur Verfügung. Denn zur Gesellschaft (zumindest des Westens) gehören Computer. Diese Maschinen sind ihre technische Voraussetzung. Wenig spektakulär, aber mit nachhaltigen Folgen für die gesamte Wirtschaft revolutionieren sie noch immer jeden einzelnen Betrieb und jeden Arbeitsplatz. Es gehört zu den journalistischen Aufgaben, die auf der einen Sonderseite bisher nur unzureichend bewältigt werden konnten, diese gerade erst begonnene Entwicklung neuer Produktionsmethoden mit allen ihren Folgen auch für die davon betroffenen Individuen aufzuspüren und darzustellen.

Tatsächlich ist ja der Computer als Arbeitsgrät erfunden worden. Und noch immer macht es nicht nur Spaß, ihn zu bedienen. Umso ertaunlicher ist daher, dass er zugleich zu einem Fetisch des digitalen Alltags werden konnte. Er wird geliebt und gehasst, musste allerdings inzwischen den ersten Platz in der Rangliste der elektronischen Spielzeuge an das Handy abgeben und an die Spielkonsole.

Wo bleibt die Kunst? Acht Jahre lang hat die bildende Kunst auf dieser Sonderseite ebenfalls einen festen Platz gehabt. Die Galerie lässt sich sehen, aber gegen Ende wird ihr Bestand etwas dünn. Bildende Künstler haben das Internet früh entdeckt – und bald wieder verlassen. Es gibt keine nenneswerte neue Webkunst mehr. In der Wirklichkeit nicht und auch nicht mehr in dieser Zeitung. Und falls sie doch wieder entstehen sollte, wird sie auf den neuen Seiten ganz sicher nicht vergessen.

NIKLAUS HABLÜTZEL

niklaus@taz.de