: Überforderte Heilsbringer
Eigentlich sind die Arbeitsbedingungen ganz gut: Dennoch fühlt sich fast jeder dritte Lehrer ausgebrannt. Das liegt an pädagogischen Defiziten im Studium, sagen Experten
BERLIN taz ■ Es ist paradox: ein sicherer Job, gutes Gehalt und über siebzig freie Tage im Jahr – aber die Arbeitnehmer sind unzufrieden. Der Lehrerstand leidet an Schizophrenie: trotz dieser Bedingungen fühlen sich viele überfordert, ausgelaugt und zu Unrecht gescholten. „Wir sind doch die Buhmänner der Nation“, klagt Berufsschullehrer Ludwig Schulz aus Sachsen. Man erwarte von ihm, Wunder an Schülern zu vollbringen, die eine Null-Bock-Mentalität vor sich her trügen. „Da vergeht einem jede Lust“, meint er.
Knapp ein Drittel der Lehrer fühlen sich ausgebrannt, zeigt eine Studie der Uni Potsdam. Das sei nicht verwunderlich, sagt Pädagogikprofessor Ewald Terhart aus Münster: „Person und Beruf sind sehr eng miteinander verwoben. Schwierigkeiten und Kompetenzdefizite schlagen sich gleich in der eigenen Persönlichkeit nieder.“ Auch würden Lehrer von der Gesellschaft überfordert: „Einerseits erniedrigt man sie, andererseits erhebt man sie zu Heilsbringern.“
Der Beruf werde idealisiert und entproblematisiert, sagt Terhart, der die Lehrerausbildung in Deutschland unter die Lupe genommen hat. Seine Bilanz: die Studenten werden auf den Beruf ungenügend vorbereitet. Theorie und Praxis stünden unverbunden nebeneinander. „Über zwei Drittel des Studiums sind stark wissenslastig, während Pädagogik und Didaktik den geringsten Raum einnehmen.“ Zukünftige Deutschlehrer studieren Germanistik, bis die Praxis über sie hereinbricht. „Und dann müssen sie plötzlich wie ein vollwertige Arbeitskraft funktionieren“, sagt Terhart. Für einen Wechsel ist es aber dann oft zu spät. „In Deutschland gibt es wenig Alternativen zum Lehrerberuf“, sagt Marianne Demmer von der Lehrergewerkschaft GEW. Wer also nicht umsonst studiert haben will, muss sich irgendwie durchschlagen – schlecht für die eigene Psyche und für die der Schüler.
Besser wäre, wenn die Bewerber schon zu Beginn wüssten, was sie erwartet. In Finnland gibt es Auswahlverfahren, bei denen etwa 10 Prozent der Bewerber als Lehrer genommen werden. Im Vordergrund steht die Frage „Haben Sie Kinder lieb?“, berichtet Demmer. In Deutschland ist das Abiturzeugnis einziges Kriterium. Angesichts des Lehrermangels werden die Hürden wohl auch nicht höher gelegt, meint Demmer. ANNA LEHMANN