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Archiv-Artikel

Es ist immer Nacht

Die Dresden Dolls aus Boston sezieren mit den Methoden des Punk die Zwanzigerjahre. Heute verwandeln sie den Knaack Club in eine Theaterbühne für Klavier, Schlagzeug und Stimme

VON THOMAS WINKLER

Da soll noch einer sagen, dem US-Bürger mangele es an Informationen über den Rest der Welt. „Kein Amerikaner erwartet, dass man in Berlin heute noch Cabarets und Federboas an jeder Ecke findet, dass die Sektkorken knallen und die Leute es auf den Tischen treiben“, versichert Amanda Palmer, eine Hälfte der Dresden Dolls. Aber fügt hinzu: „Obwohl das natürlich nett wäre.“

Tatsächlich kann man sich fast allzu einfach vorstellen, wie Miss Palmer in ihrem tiefschwarzen, fast durchsichtigen Spitzenkleid über den Alexanderplatz der Zwanziger- oder Dreißigerjahre flaniert, abends in einer Kaschemme in Mitte in die Tasten haut und ihre Songs singt, von denen einer von der Sehnsucht nach einem münzbetriebenen Gespielen handelt. Begleitet wird sie nur von einem Schlagzeuger namens Brian Viglione, der selbst zum mittäglichen Interviewtermin stilsicher im samtenen Nadelstreifenanzug mit passender Krawatte erscheint, eine Melone auf dem Kopf hat und zugibt, dass die Dresden Dolls „inspiriert sind von diesen Zeiten, in denen Versuche, dekadent und idealistisch zu leben, konfrontiert wurden mit besonders harschen Realitäten des Alltags“.

Allerdings sind die Dresden Dolls schnell bereit zuzugeben, dass auch ihre Vorstellungen eher romantischer Natur sind, und auch deshalb sind sie weit davon entfernt, jene legendären Jahrzehnte musikalisch schlicht zu kopieren. Sie haben, das hört man, ihre Dosis Chansons gehört, Kurt Weill ist ihnen ebenfalls nicht gänzlich unbekannt und beim nächsten Besuch, das versichert Palmer, werde man sich einen Besuch des Berliner Ensembles nicht entgehen lassen. Aber schlussendlich schreibt Palmer heutige Popsongs, die das Duo aus Boston allerdings mit dem Wissen „um das Handwerkliche, die Kunstfertigkeit der Zwanzigerjahre“ umsetzt. Das endet dann schon mal in einem Marschrhythmus oder in einer Musical-Melodie. Live schließlich, mit weiß geschminkten Gesichtern und Hang zum Dramatischen, finden die Dresden Dolls endgültig zu sich, „erwachen die Songs zum Leben“, so Viglione, und die Zeitmaschine landet sicher in untergegangenen Welten. Sowohl Palmer als auch ihr Partner haben ausgiebig Theater gespielt, Palmer sogar zwei Jahre lang in Deutschland, und eine Zeit lang verdiente sie ihr Geld als lebende Statue. Auf der Bühne wird aus einem Konzert schnell ein improvisiertes Theaterstück, Songs werden kommentiert und Musik karikiert, während zwischen den beiden eine „sexuelle Chemie“ entsteht. Nicht zuletzt deshalb spekuliert die Musikpresse mittlerweile fast genauso gern über das tatsächliche Verhältnis von Palmer und Viglione wie über die bandinternen Verwandtschaftsverhältnisse der White Stripes. Für die mittelfristige Zukunft haben die Dresden Dolls Erwartbares geplant: ein Musical, nein Konzept-Album und einen Naturpark, in dem nur gestreifte und schwarzweiße Tiere, also vornehmlich Zebras und Pinguine, zugelassen sind. „Und die Sonne hat keine Erlaubnis zu scheinen“, ergänzt Palmer unter Gelächter, „es ist immer Nacht und jedes Tier muss in einem unterirdischen Loch leben.“

Die, so hingeschrieben, zugegebenermaßen etwas muffig klingende Idee vom Gesamtkunstwerk wird trotz aller Unkengedanken erfolgreich von den Dresden Dolls neu mit Leben gefüllt, weil sie sich eben nicht mit einer wertkonservativen Rekonstruktion eines Klischees (wie das schon Milva oder Helen Schneider betrieben haben und als Theater-Abonnement-Futter endeten) zufrieden geben. Mit den Methoden des Punk sezieren sie die Zwanziger und setzen sie mit ihrem Minimalinstrumentarium, nur mit Klavier, Schlagzeug und Stimme, mitten hinein in die Jetztzeit. Hilfreich ist es, dass Palmer Songs schreibt, die so gut sind, dass sie in jeder Inszenierung und in jeder Instrumentierung das Zeug zum heimlichen Hit hätten. So aber, wie es ist, ist es gut. Jetzt muss man nur noch die Federboa abstauben und dem Amerikaner zeigen, dass sein Wissensstand über Berlin doch nicht mehr ganz der Realität entspricht.

Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg