: Der Wedding organisiert Protest
Der geplante NPD-Aufmarsch im Wedding sorgt unter Anwohnern, Antifa-Inis und Politikern für helle Empörung. Nur in Migrantenkreisen ist es bisher ruhig – offenbar, weil die Leute überrascht wurden
VON INES KURSCHAT UND PLUTONIA PLARRE
Über Kreuzberg hält Innensenator Ehrhart Körting (SPD) seine schützende Hand. Durch den nicht weniger multikulturellen Wedding indes darf die NPD am kommenden Samstag ziehen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist die Einschätzung der Polizei, dass die Weddinger Migrantenszene unpolitischer und friedlicher sei als die in Kreuzberg. „Wir gehen davon aus, dass die Weddinger besonnener auf den NPD-Aufmarsch reagieren“, sagt der Leiter der Direktion 1, Klaus Keese.
Er teile nicht die Einschätzung, dass die Weddinger Türken unpolitischer seien als ihre Kreuzberger Landsleute, sagte hingegen Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern im Abgeordnetenhaus. „Wir haben keine Statistik über die Politisierung von Türken.“ Die Entscheidung für Wedding sei gefallen, weil die Demonstration in Kreuzberg an einer Reihe von Moscheen vorbeigeführt hätte. „Jetzt“, so Körting, „geht es nicht durch dicht besiedelte Kieze“ – eine Aussage, die der Innensenator offenbar an der Straßenbreite festmacht.
Der Aufzug, der vom S-Bahnhof Bornholmer Straße über die mehrspurige Osloer Straße zum Louise-Schroeder-Platz und zurück führen soll, wird von rund 1.000 Polizisten begleitet. Erwartet werden bis zu 1.000 Neonazis.
Vieles spricht dafür, dass der Einsatz kein leichter wird. Alle im Bezirksparlament Berlin-Mitte vertretenen Parteien sowie zahlreiche Initiativen rufen zu Protestaktionen auf. AnwohnerInnen wollen Transparente aufhängen. Die Grünen haben eine Gegendemo angemeldet, ebenso die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), die eigens ein Flugblatt auf Türkisch mit der Parole „Nazis raus“ herausgebracht hat.
Die angefragte, aber von der Polizei bislang noch nicht genehmigte Route von „Bündnis gegen Rechts“ und Antifas beginnt am U-Bahnhof Pankstraße – und kreuzt gezielt die der Faschisten. „Wir wollen die Nazis stoppen“, sagt Sven Laumeyer. Der ALB-Sprecher rechnet mit mehreren hundert GegendemonstrantInnen aus „allen Teilen der Stadt“.
Eingeklemmt zwischen dumpfen Neonazis und kampfentschlossenen Autonomen – für Peter Slavik ist das allerdings eine Schreckensvision. Slavik ist Mitorganisator des Behinderten-Festivals „Heller Wahnsinn“, das ebenfalls am Samstag am Rande des Soldiner Kiez stattfinden wird. Es sei ein „beschämender Skandal“ und „krasser Affront“, dass Behinderte „direkt mit rassistischen Nazis“ konfrontiert würden, empört sich Slavik.
Er appellierte an den Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU), den Aufmarsch zu verhindern. Der will zwar auch keine Neonazis in seinem Viertel dulden und ruft gemeinsam mit seinem Pankower Kollegen zu einer weiteren Protestkundgebung an der Bornholmer Brücke auf. Es sei aber nicht an ihm, die Veranstaltung zu verbieten, so Zeller (siehe Interview).
Empörung allerorts – nur in Weddinger Migrantenkreisen ist die Stimmung bisher ruhig. Offenbar, weil den meisten Betroffenen Informationen fehlen. Lediglich der Türkische Bund hat bisher den Nazi-Marsch als „abscheulich“ verurteilt und „alle Menschen Berlins“ zu friedlichem Protest aufgerufen. Der Türkisch-Islamische Kulturverein in Wedding wusste bis gestern noch nichts vom geplanten Aufmarsch. Man habe davon erst aus den Medien erfahren, hieß es auch aus der Bilal-Moschee.
Erstaunen ebenfalls in der Haci-Bayram-Moschee: „Wir wissen noch nichts, deshalb können wir auch noch nichts dagegen organisiert haben“, sagte ein Sprecher der Moschee. Mit viel Gegenwehr aus dem Umfeld der Moscheen und von Weddinger Ausländergruppen ist anscheinend nicht zu rechnen. Um die eigene Sicherheit sorge man sich nicht, so ein Mitarbeiter der Ca’fer-Sadik-Moschee unbekümmert. Das sei Aufgabe der Polizei.
„Die Leute demonstrieren hier nicht wie in Kreuzberg“, sagt Christina Hoffmann vom multikulturellen Jugendtreff Putte e. V. Sie bestätigte die Einschätzung der Polizei: Viele Weddinger Türken seien „eher unpolitisch“. Ihr Kollege Tuncer Karabulut will nun mobilisieren, „erst recht bei den Migranten“ .