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Archiv-Artikel

„Ich habe ihn nie als Schauspieler gesehen“

Thomas Astan, Salesianerpater und Künstlerseelsorger in Berlin, über Ausstrahlung und Medienpräsenz des weltreisenden Papstes

taz: Herr Astan, Johannes Paul II. ist ein Medienstar. Er gilt als der meistfotografierte und gefilmte Mensch der Geschichte. Niemand ist von so vielen Menschen leibhaftig gesehen worden. Sie selbst sind Priester, waren Schauspieler. Wie ist der Papst denn so als Schauspieler?

Thomas Astan: Ich habe ihn nie als solchen gesehen. Aber wenn man einen Schauspieler als jemanden definiert, der, wenn er etwas spielt, authentisch ist, das heißt, er steht hinter dem, was er sagt – dann ist er sicher ein glänzender. Es ist ja nicht so, dass er etwas vorgibt, sondern er ist, was er ist. Daraus resultiert auch seine Ausstrahlungskraft.

Welches Bild vermittelt der Papst: einst Sportskanone, heute ein zittriger alter Mann.

Das ist die Kraft, die er heute hat: dass er noch glaubhafter ist, da er nicht mehr verbergen kann, welche Schmerzen er hat. Er kann nicht mehr gehen, nicht mehr stehen. Die Arthrose und die parkinsonsche Krankheit haben ihn sehr reduziert. Es ist ein Phänomen, dass gerade die Jugend in Scharen zu ihm kommt.

Warum? Normalerweise lassen sich doch junge Leute von zittrigen Greisen nichts sagen.

Das ist genau das Phänomen: Wir haben ja eine Autoritätskrise in den letzten Jahrzehnten. Junge lassen sich von älteren Leuten kaum etwas sagen. Aber weil der Papst bei sich bleibt und nichts spielt, hat er dieses hohe Ansehen. Sie merken: Da ist jemand, der ihre Probleme versteht.

Gleichzeitig hat der Papst ein Pop-Image – ganz anders, aber in der Begeisterung ähnlich wie bei Michael Jackson.

Aber war es nicht die Presse, die ihn dorthin gedrängt hat? Die Begeisterung hat etwas von Ekstase. Aber das ist ja immer so, wenn Menschen emotional getroffen werden. Dann schreit und jubelt man. Dabei hat er gar keine übertriebenen Gesten oder Reden. In Brasilien hat er Straßenkinder reihenweise auf den Arm genommen und gesagt: „Ich gehöre zu euch.“

Müsste er nicht angesichts seiner Krankheit zurücktreten, weil er die Botschaft nicht mehr vermitteln kann?

Jedem ist klar, dass dies offenbar das Ende seiner Lebenszeit ist. Es ist würdelos, so darüber zu reden. Meine Mutter hatte auch Parkinson. Da entschied die Tagesform, was noch möglich war. Wenn er nicht mehr sprechen kann, seine Ansprachen vorgelesen werden, verliert er auch an Authentizität. Das ist klar. Aber die Botschaft wird ja nicht nur verbal vermittelt, sondern auch körperlich, spirituell. Da hat er noch eine enorme Kraft. INTERVIEW: PHILIPP GESSLER