West macht Ost

Der Wochenendkrimi ist ein Psychokrimi mit Lokalkolorit: „Polizeiruf 110: Prinz von Homburg“ (So., 20.15 Uhr, ARD)

Über viele Jahre wurde er von den ARD-Anstalten mit durchgeschleppt, der gute alte DDR-„Polizeiruf“. Ließ sich so doch suggerieren, wenigstens ein kleines Stück ostdeutscher Fernsehkultur sei in der gesamtdeutschen aufgegangen. Jetzt wird die Serie gelegentlich für formatsprengendes Erzählen genutzt. Für den BR analysiert schon etwas länger Edgar Selge als cholerischer einarmiger Ermittler die Anomalien seiner Mitmenschen. Und der NDR zeigt Henry Hübchen und Uwe Steimle etwas verloren in der Mecklenburger Seenplatte. In den „Polizeirufen“ werden inzwischen psychokulturelle Belange verhandelt, für die ARD und ZDF an anderer Stelle kein Geld mehr ausgeben. Das mag den TV-Hobbydetektiv, stören – die Relevanz der Serie wird nur gestärkt.

Der relaunchte hessische „Polizeiruf“ setzt nun diesen Trend fort. Wo zuvor pseudourbane Betriebsamkeit herrschte, steigt man nun schaudernden Schrittes in Seelenkeller hinab. Die erste Folge aus Bad Homburg wurde von Regisseur Titus Selge konsequent als melodramatischer Thriller in Szene gesetzt, in dem der neue Ermittler die Abgründe der eigenen Familiengeschichte auslotet: Kommissar Thomas Keller kommt in den Kurort zurück, um seinen Vater unter die Erde zu bringen. Der Alte ist keines natürlichen Todes gestorben. Die Untersuchungen entwickeln sich zur Recherche über die eigene Herkunft, in deren Verlauf Keller Nacktbilder seiner Mutter findet, die Exgeliebte seines Erzeugers sowie einen Halbbruders kennen lernt und noch andere Ungeheuerlichkeiten schlucken muss. Jan-Gregor Kremp spielt den Kommissar als Schlenderer, während das Schicksal im Eiltempo seinen Lauf nimmt. Ein Tragöde, der keine großen Gesten braucht. CHRISTIAN BUSS