: Sprachliche Minderheit
Mehr als zwei Millionen Deutsche hören schlecht oder gar nicht. Aber nur achtzigtausend von ihnen sind von Geburt an gehörlos, der große Rest ist spätertaubt oder schwerhörig. Die gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Gruppe beruht zumeist auf Erlebnissen mit Gehörlosen, die sich in der Öffentlichkeit gestikulierend und grimassierend unterhalten. Ein bizarrer, oft poetischer Anblick.
Der Unterschied der Gehörlosigkeit zu anderen Behinderungen besteht vor allem darin, dass man sie den Betroffenen, wenn sie nicht gerade kommunizieren, nicht ansehen kann.
Informationen, die Hörende mal eben nebenbei aufschnappen – „Joschka hat ’ne Neue“ – sind ihnen weitaus schwieriger zugänglich. Dies ist auch einer der Gründe, warum viele Hörgeschädigte nicht von Integration in die Welt der Hörenden sprechen wollen. Denn während Hörende durchaus in der Lage sind, sich die Gebärdensprache anzueignen, bleibt den Gehörlosen das Erlernen der Lautsprache versagt.
Deshalb begreifen sich die meisten Gehörlosen als sprachliche Minderheit. Das führt dazu, dass Gehörlose sich in ihrer Sprachgruppe sozial integrieren, untereinander heiraten und miteinander – in zehn Prozent der Fälle gehörlose – Kinder zeugen.
Es ist also sinnvoll, sich Gehörlosen gegenüber zu entspannen: Sie sprechen nur eine Fremdsprache! Wer mit Gehörlosen Kontakt hat, sollte folgende Regeln beachten: Sehen Sie Gehörlose beim Sprechen an! Sprechen Sie langsam und deutlich – nicht laut! Benutzen Sie kurze, klare Sätze, Mimik und Gestik sowie natürliche Gebärden (etwa „denken“ oder „schlafen“)! Wenn die Kommunikation hakt, schreiben Sie Stichworte auf!
Gehörlose haben je nach Herkunft nationale Sprachen und regionale Dialekte. Die Deutsche Gebärdensprache DGS verwendet neben Mimik und Körperhaltung auch Handzeichen, also Gebärden. Die sind nach Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung strukturiert. Die DGS verfügt über einen umfassenden Gebärdenschatz und eine ausdifferenzierte Grammatik. Sie ist der Lautsprache absolut ebenbürtig. Neben der DGS gibt es noch das Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG), das vor allem Ertaubte und Schwerhörige verwenden. Zur Unterstützung der – oft verzerrten – Lautsprache wird eine möglichst bedeutungsgleiche Gebärde ausgeführt, die grammatikalischen Regeln der DGS bleiben dabei außen vor.
Im Ausland begegnen Gehörlose – ebenso wie Hörende – einer ihnen fremden Sprache. Grundanliegen, etwa die Bestellung im Restaurant, können in der jeweiligen Gebärdenfremdsprache relativ leicht formuliert werden, schwieriger sieht es aus mit national festgelegten Gebärden. Farben oder Zahlen etwa werden je nach Landstrich unterschiedlich gebärdet. Dennoch klappt die internationale Kommunikation relativ reibungslos.
Den Beruf des Gebärdendolmetschers ergreifen vor allem Menschen, die aus Gehörlosenfamilien stammen. Kinder, die von ihren Eltern oft als Dolmetscher eingesetzt wurden (beim Arzt, beim Finanzamt oder auch um stundenlang einen Spielfilm zu übersetzen), verweigern sich später oft. Viele Kinder, die von ihren Verwandten nicht überstrapaziert wurden, sehen dagegen in ihrer zweisprachigen Erziehung später eine berufliche Chance. AM