: Streit um Flächentarife
Niedersachsens Ministerpräsident Wulff will im Bundesrat die Tarifautonomie lockern, die IG Metall diskutierte gestern über Zulagen bei florierenden Firmen
Hannover taz ■ Nachdem der Kanzler und die Chefs aller Bundestagsfraktionen schon ihr Fett abbekommen hatten, versuchten sich die 600 Delegierten des Gewerkschaftstags der IG Metall gestern an Sachthemen. Insgesamt 800 Anträge hat der Kongress abzuarbeiten, 130 beschäftigen sich mit Flächentarifen. Dabei ist diese letzte große Domäne gewerkschaftlicher Politik in Gefahr – auch wenn Gerhard Schröder bei seinem Auftritt vor den Metallern in Hannover bekräftigt hatte, nicht an der Tarifautonomie rütteln zu wollen.
Wie gestern ein Regierungssprecher bestätigte, wird die Initiative des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), nach der die Verbindlichkeit der Tarife durch Verträge auf Betriebsebene gelockert werden soll, demnächst Verhandlungsmasse im Vermittlungsausschuss des Bundesrates. Und natürlich wollen auch die Arbeitgeberverbände die Tarife nach unten knacken. Da scheint es fast paradox, dass sich die Metaller am vorletzten Tag ihres Kongresses fragten, wie sich trotz Flächentarif Aufschläge für boomende Firmen tariflich festklopfen lassen.
Dafür sind nicht nur die Porschebauer aus dem Südwesten, von denen die Idee stammt, auch im Armenhaus des Nordens findet es Zuspruch, dass Firmen, denen es besser geht, per Zusatz-Tarifvertrag mehr zahlen sollen. „Es geht darum, Verteilungsspielräume zu nutzen“, sagt Dieter Reinken, erster Bevollmächtigter der IG-Metall in Bremen. Und verweist auf die „ganz extrem auseinanderklaffende“ Wirtschaftslage der 200 metallverarbeitenden Firmen im kleinsten Bundesland. Da sind die 16.000 Mitarbeiter im Bremer Mercedes-Werk: Da der Daimler-Absatz brummt, würden sie sicher einen Extra-Tarifvertrag begrüßen, nach dem mehr bezahlt werden muss. Da sind aber auch die darbenden Werften oder die 100 Arbeiter bei den Maschinenbauern von Electron, die, so Reinken, „hart an der Krise entlang schürfen“. Er sei deshalb „für eine Runde für die Fläche und für eine weitere obendrauf.“
Gegen die Bremer, die Baden Württemberger, die Bayern oder die Hessen redeten gestern mal wieder die niedersächsischen Malocher. Eine Zweistufigkeit „widerspricht wesentlichen Prinzipien des Tarifvertrags“, betont Jörg Köther, Pressemann des Bezirks Hannover, in dem 300.000 Metaller aus Niedersachsen, aber auch aus Sachsen-Anhalt arbeiten. Unter zweistufigen Tarifverträgen leide die Solidarität der Belegschaften – nicht zuletzt im Streikfall. Zudem gebe es bereits Zulagen in florierenden Firmen, meint Köther. VW oder Bosch hätten längst Prämien vereinbart. Dass die leichter kassierbar sind als Tarifvereinbarungen, ist ihm auch klar. Die Diskussion übers Mehr, während alle übers Weniger reden, geht weiter. Einigen konnten sich die Delegierten nämlich nicht. Und so wurde gestern vertagt – aufs Jahr 2005.
K. Schöneberg