: Interview-Marathon im Europaparlament
An heute stehen die Kandidaten für die Kommission den Abgeordneten Rede und Antwort. Eine komfortable Mehrheit ist Präsident Barroso sicher. Die Frage, wer in dem Gremium die Linie vorgibt, wird sich jedoch erst später entscheiden
BRÜSSEL taz ■ Drei Stunden lang werden von heute an die 24 Bewerber im EU-Parlament „gegrillt“, die der künftige Kommissionspräsident Durão Barroso vom ersten November an in sein Team berufen will. Von wenigen Fällen abgesehen, wird ein Ritual abgespult. Das Parlament demonstriert seine Bedeutung, der Kandidat zeigt Demut vor dem Hohen Haus. Schon die vorab von den Ausschüssen übermittelten schriftlichen Fragen und im Internet veröffentlichten Antworten geben die Linie vor: Alle Kandidaten beteuern, offen zu sein, Verantwortung für die Arbeit ihrer Beamten zu übernehmen und immer zuerst das Parlament zu informieren.
Linke und einige Sozialdemokraten, die zu Barroso Nein sagten, werden auch sein Team ablehnen. Alle anderen werden zustimmen. Das ergibt eine komfortable Mehrheit. Die Spielregeln sehen vor, dass die Abgeordneten das ganze Team durchwinken oder ablehnen müssen.
Vorbehalte haben die Sozialisten gegen die Niederländerin Neelie Kroes-Smit, die eine Karriere als Aufsichtsrätin und Vorstand großer Unternehmen hinter sich hat. Sie soll als Wettbewerbskommissarin Mario Monti ablösen. Zwar trat Kroes von allen Ämtern zurück. Zudem hat sie sich verpflichtet Streitfälle, bei denen sie befangen sein könnte, abzugeben. Doch die sozialistische Fraktion will Barroso drängen, ihr ein anderes Ressort zu geben. Darauf wird er nicht eingehen, denn sein Paket fiele völlig auseinander.
Den Unmut von Sozialisten, Grünen und Liberalen hat Rocco Buttiglione aus Italien erregt, der Kommissar für Justiz und Inneres werden soll. Gegen den Rat Barrosos äußerte er sich recht offenherzig über seine Pläne, Asylbewerber in nordafrikanischen Lagern unterzubringen, bis über ihren Antrag entschieden ist. Die Europaabgeordneten, die mehrheitlich eine weltoffene Einwanderungspolitik befürworten, sind weniger begeistert.
Kopfzerbrechen bereitet vielen auch Ingrida Udre aus Lettland. Sie möchte Brüssels Einfluss auf die Mitgliedstaaten zurückdrängen. Dafür müssten die Euroskeptiker sie eigentlich lieben. Da sie aber beschlossen haben, die Kommission als Ganzes abzulehnen, fällt auch Udre unter diesen Bann. Sie soll für Steuern und Zölle verantwortlich sein. Das macht die Abgeordneten jener Länder hellhörig, die ihren Betrieben hohe Steuersätze abknöpfen. Sie fordern eine Mindeststeuer in der EU, um den Anreiz für Firmen zu mindern, in Steueroasen abzuwandern. Udre ist dagegen. Sie sieht im Steuerwettbewerb eine Chance für die neuen Mitglieder, ihren Standort attraktiv zu machen.
Die Frage, wer in der neuen Kommission die Linie vorgibt, wird sich bei dem zweiwöchigen Interviewmarathon nicht klären lassen. Barroso hat Politiker kleiner Mitgliedsländer mit sehr mächtigen Ressorts betraut. Sie alle werden sich für Deregulierung und gegen staatliche Beihilfen stark machen. Paris und Berlin sehen das mit Argwohn. Sie erwarten von Günter Verheugen, dem künftigen Industriekommissar, dass er in der Kommission ihre Fahne hoch hält. Die nächsten Monate werden zeigen, ob er diese Rolle übernehmen will und sich durchsetzen kann.
DANIELA WEINGÄRTNER