piwik no script img

Archiv-Artikel

Isla Negra

14. Preis unsres Sommer-Schreibwettbewerbs Strandgeschichten: Die Insel, wo der Schriftsteller und Kommunist Pablo Neruda Liebesgedichte schrieb

4.500 Kilometer Küste hat Chile, sie reicht von Feuerland bis zur Atacama-Wüste Isla Negra, über diesen Strand wurde sogar schon ein Buch geschrieben

von HEIKE BETHE

In diesem Haus könnte ich auch berühmte Liebesgedichte schreiben, denke ich und krame den Fotoapparat aus meiner Umhängetasche. Mit dem Blick durch die Linse schiebt sich hinter dem am Hang gelegenen Steinhaus der Pazifik ins Bild. Davor lockt der helle Strand, ein wunderschöner Tag liegt vor mir. Die heiße Luft ist voll vom Duft der Blumen und Kräuter, die hier oben auf der Anhöhe wachsen. Endlich mal nicht in den engen Räumen der Sprachenschule in Santiago sitzen, der stickigen Hauptstadt Chiles. Ich stelle mir vor, wie es sein würde, in diesem Haus zu sitzen, nur Meer und Himmel vor Augen, die blau miteinander verschmelzen.

„Wissen Sie eigentlich, wer hier gewohnt hat?“ Ich fahre herum. Hinter mir steht ein Mann und sieht mich an, ein wenig herausfordernd vielleicht. „Ja“, beeile ich mich zu sagen, „Pablo Neruda, der Schriftsteller.“ „Der Schriftsteller und Kommunist“, ergänzt er. „Er hatte Glück, er ist wenige Tage nach dem Putsch gestorben, sonst hätten sie ihn umgebracht. Aber kommen Sie“, sagt er, „lassen Sie uns zum Strand hinuntergehen.“

Er sieht sympathisch aus; auf jeden Fall gehe ich bereits hinter ihm her auf dem Trampelpfad, der sich zum Strand hinunterschlängelt. Unten angekommen, breitet er die Arme aus: „Isla Negra, über diesen Strand wurde sogar schon ein Buch geschrieben.“

Ja, ich erinnere mich, eine nette Story von einem Briefträger, der sich von Neruda die Liebesgedichte für seine Angebetete schreiben ließ. Das Ende war dann irgendwie traurig, hatte was mit diesem Putsch zu tun. Ich hätte dazu noch mal etwas lesen können, aber das war mir dann doch zu mühsam. Ich habe jetzt große Lust, mich endlich auf mein Handtuch zu legen und mich der Sonne und dem Rauschen des Meeres hinzugeben. Stattdessen berührt er mich leicht am Arm und steuert mit mir auf einen der Felsen zu, die malerisch über den Strand verstreut liegen. Dieser Stein ist sehr groß und rund, und obendrauf sitzen einige Leute. Beim Näherkommen sehe ich, dass er von oben bis unten bemalt und beschrieben ist. Den Kopf von Che Guevara erkenne ich natürlich sofort, aber das reicht meinem selbst ernannten Reiseführer nicht. „No a la impunidad –Nein zur Straffreiheit –, beim Vorlesen zeigt er auf den roten Schriftzug.

„Sechzehn Jahre Diktatur haben wir hinter uns. Meinen Folterer habe ich vor einigen Jahren einmal auf der Straße gesehen.“ Will der mich schocken? Was will der überhaupt von mir? Wer weiß, ob das alles stimmt, vielleicht will er sich nur wichtig machen. Ich gucke ihn an, die Offenheit ist aus seinem Gesicht verschwunden. Was hat er wohl erlebt? Ich traue mich nicht zu fragen. Er setzt sich ans Wasser, und ich hocke mich mit angezogenen Knien neben ihn. Die Wellen rollen mit großer Wucht auf den Strand zu und brechen sich an den fast schwarzen Felsen. Er sagt lange nichts. Später dann: „4.500 Kilometer Küste hat Chile, sie reicht von Feuerland bis zur Atacama-Wüste.“ Dabei lässt er den warmen Sand durch seine Finger rieseln. Schöne Hände hat er, stelle ich fest.

„Dort wurden übrigens vor einigen Jahren die ersten Verschwundenen gefunden, im Sand verscharrt“, sagt er und zeigt wage Richtung Norden. Ich starre auf meine frisch lackierten Fußnägel, die sich in den Sand bohren. Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, hier einen schönen Strandtag zu verbringen, hier steckt ja die Geschichte in jedem Sandkorn. Isla Negra –Schwarze Insel – schwarz ist mir langsam wirklich zumute, aber eine Insel ist das hier ganz und gar nicht, dieser Strand hat ein sehr aufdringliches Hinterland. Wie anders habe ich mich an all den anderen Stränden gefühlt: In der Helligkeit von Sonne und Meer löste sich dort der Rest der Welt jedes Mal in Wohlgefallen auf. Was will ich noch hier? Ich werde jetzt aufstehen und mit dem nächsten Bus an einen anderen Strand fahren.

Plötzlich reckt er seine Arme nach oben, schüttelt sich und lässt sich genussvoll nach hinten in den Sand fallen.“ Ist es nicht herrlich hier? Ich liebe diesen Strand, nur hier komme ich richtig zur Ruhe. Hier ist alles zusammen: die Natur und unsere Geschichte. Hier bekomme ich immer wieder Antwort.“ Er sieht tatsächlich entspannt und fast glücklich aus. Er hat zwei Gesichter. Genauso wie der Strand. Wahrscheinlich bin ich deshalb immer noch hier.

Ich werde das Radio anmachen, vielleicht wird dann alles leichter, überlege ich und ziehe die Antenne aus meinem kleinen Weltempfänger. „Darf ich Ihnen mal einen guten Sender einstellen?“, fragt er. Nachher muss ich wieder auf Sendung. La hora de la Salsa, kennen Sie die? Jeden Abend,18 Uhr.“ Er schaut auf die Uhr und springt auf: „Ich muss los, hier die Adresse, kommen Sie mal vorbei, dann können Sie miterleben, wie so eine Sendung gemacht wird. Salsa, das ist Leben!“ Er lacht und eilt dann in Richtung Trampelpfad davon.

Ich bleibe auf meinem Badelaken sitzen und starre aufs Meer. Es schäumt unschuldig weiß. Ich denke an seine zwei Gesichter, die ich nicht verstehe. Und an die Antwort, die er hier bekommt und die ich nicht kenne. Irgendwann nach 18 Uhr stelle ich das Radio an und höre die mir nun bekannte Stimme: „Mit dem nächste Lied grüße ich eine neue Freundin, die gerade am Strand von Isla Negra sitzt. Übrigens, zieh dein Kleid aus und geh endlich baden.“

Bisher hatte ich noch nie Anweisungen aus dem Radio erhalten. Aber bei den ersten Salsa-Takten lasse ich den Strand rennend hinter mir und stürze mich ins eiskalte Wasser.