palastrevolte : Cool wie Bauten des Sozialismus
Ohne den fortschrittlichen Glanz des Palastes der Republik scheint inzwischen kaum jemand mehr auszukommen. Besonders Leute mit leicht zwanghafter Beziehung zur Zeitgenossenschaft verlieren angesichts seines Trendwerts offensichtlich schnell den Blick für ihre wirklichen Wurzeln.
Nicht nur das Münchner Nachrichtenmagazin Focus, das plötzlich dringend hier feiern musste. Auch die am Kurfürstendamm gelegene Schaubühne hat jetzt zu Spielzeitbeginn ein Postkartenmotiv ihres Hauskünstlers Benjamin Güdel veröffentlicht, das einen jungen Mann und potenziellen Schaubühnenkunden vor der Palastruine zeigt. (Auf einem anderen Motiv ist im Hintergrund das vor über zehn Jahren geschleifte Lenin-Denkmal an der Landsberger- vormals Lenin-Allee zu sehen.)
Schämt sich die Schaubühne am Ende ihrer Geburt aus dem Geist der westlichen Linken? Geografisch gehört die Schaubühne außerdem eher in die Nähe von Funkturm und ICC.
Aber momentan gibt es anscheinend nichts Cooleres als die Symbolbauten des untergegangenen Sozialismus, selbst wenn sie mit der eigenen Geschichte so gut wie gar nichts zu tun haben. Wenigstens mental will jeder dabei gewesen sein.
Mitunter wirft dieser Eifer die Frage auf, was wohl geschehen wäre, wenn nicht der Westen, sondern der Osten den Kalten Krieg gewonnen hätte. Drängten eifrige Theatermacher dann heute wohl mit ähnlicher Andacht ins Europa-Center oder würden im Steglitzer Bierpinsel die romantischen Aspekte des untergegangenen Kapitalismus besingen?
Wie auratisch Gebäude des Klassengegners mitunter wirken können, war kürzlich auch noch einmal im Deutschen Theater zu erleben, wo am Ende eines Heiner-Müller-Abends von Dimiter Gotscheff Müllers 1994 entstandenes Gedicht „Ajax zum Beispiel“ zitiert wurde.
Dort nimmt unser harmloses Europa-Center an der Tauentzienstraße wegen des darauf kreisenden Mercedes-Sterns eine geradezu dämonische Pose ein, und im Bild dieses Hauses konzentriert sich für Müller noch einmal das ganze unverarbeitete kapitalistische westdeutsche Nazitum, vom KZ-Zahngold bis zur Deutschen Bank. So viel gefühlter Schrecken vor so wenig Gebäude war dann fast schon wieder rührend.
Vom Glanz des Palast-Trendwerts will inzwischen selbst unsere Kulturstaatsministerin profitieren, die mit übertriebener Eile kurz nach der Volkspalast-Eröffnung noch verlautbaren ließ, am Abrisstermin Anfang 2005 gebe es nichts zu rütteln. Jetzt sagt sie auf einmal in einem Interview: „Eine Wiese zu säen hat der Bundestag nicht beschlossen“ und stellt die Dauerzwischennnutzung in Aussicht. So kann es kommen, wenn der Wind plötzlich dreht.
Und unser Oberschlossbauer Wilhelm von Boddien sitzt samt seinem Schlossförderverein in Bargteheide in der norddeutschen Provinz und schläft scheinbar ziemlich tief, statt dringend über einen Standortwechsel seines Vereins nachzudenken.
Der Volkspalast bleibt in der nächsten Woche leider erst mal zu, denn es wird für die nächste Veranstaltung geprobt und umgebaut – das Projekt „Singing! Immaterielle Arbeiten“ von Ulrich Rasche. Heute Abend veranstaltet „Shrinking Cities“ mit Paul Verhoevens Film „Robocop“ noch einmal eine Science-Fiction-Nacht.
Kino im Palast – nach der Erfahrung mit den Breitwand-Video-Projektionen der „Shrinking Cities“-Musikveranstaltungen kann man das nur wärmstens empfehlen! ESTHER SLEVOGT