: Ein Haus für 16 Frauen
aus Bagdad INGA ROGG
Die Banditen kamen mit Kalaschnikows. Sie kreuzten vor ein paar Wochen vor der Wohnung von Suad Hizamettin auf und verlangten von ihr, die Wohnung zu räumen. Als sie der Forderung nicht sofort nachkam, fingen sie an, das Mobiliar auf die Straße zu werfen. Suad packte das Nötigste und ging. Die Mutter von vier Kindern glaubt, dass der Vermieter hinter dem Überfall steckt. Dieser forderte seit zwei Monaten die doppelte Miete von ihr und hatte sie schon mehrfach zum Auszug aufgefordert. Doch wo sollte sie hin?
Die Drohung gegen Suad Hizamettin ist kein Einzelfall. Seit Kriegsende sind die Miet- und Immobilienpreise in der irakischen Hauptstadt regelrecht explodiert. Der Grund dafür sind, so erzählt man sich in Bagdad, die Bankräuber, die in den ersten Nachkriegstagen Millionen US-Dollar aus den staatlichen Banken stahlen. Denn sie wollen das Geld nun in Immobilien anlegen, und dies treibt die Preise.
Auf Unterstützung durch ihren Mann konnte Suad nicht hoffen. Dieser hatte kurz vor dem Krieg eine Zweitfrau geheiratet und die Familie sitzen lassen. Also ging sie zu den US-amerikanischen Besatzungsbehörden und bat sie, ihr zu helfen, die Wohnung zurückzubekommen. Doch die winkten nur ab. Das sei ein Fall für die irakische Gerichtsbarkeit, sagte ein Armeesprecher gegenüber der taz. Doch nur ein Teil der Gerichte in der Hauptstadt hat bislang die Arbeit wieder aufgenommen.
Betten gibt es nicht
So fand Suad Hizamettin bei Bekannten Unterschlupf. Aber das war von Anfang an nur eine Notlösung, angesichts des akuten Strom- und Wassermangels will man niemandem länger als nötig zur Last fallen.
Durch einen Zufall hörte sie von dem Frauenhaus in Adhamiya im Norden der Stadt. 16 Frauen mit ihren Kindern, zehn Waisenkinder und vier ausgesetzte Säuglinge teilen sich die wenigen Räume in dem heruntergekommenen Gebäude am Tigris, das früher vom Geheimdienst genutzt wurde. Schränke und Betten gibt es nicht. Jede hat ihre Sachen in Taschen und Tüten verstaut und sich eine der typischen Baumwollmatratzen besorgt. Küche, Bad und Toilette müssen sich die Frauen teilen. Um sich ein wenig Privatsphäre zu sichern, haben sie mit Wolldecken notdürftig die Türöffnungen verhängt.
„Nationaler irakischer Menschenrechtsverein“ kündigt das Schild an der Eingangstür an. Dass hier Frauen Schutz finden, soll auf den ersten Blick nicht zu erkennen sein, sagt Hana Nejim, eine Vertreterin des Vereins. Deshalb sei im Eingangsbereich auch das Büro der Menschenrechtsorganisation untergebracht. Die Angst vor Übergriffen ist groß. Ein Ort, an dem mehrere Frauen leben, stehe schnell im Ruf, die Prostitution zu fördern, sagt Nejim. Zudem fürchte man Angehörige, die den Frauen nachstellen, weil sie aus deren Sicht mit der Flucht ins Frauenhaus die Familienehre beschmutzt haben.
Fast alle Frauen hier sind obdachlos. Auch Hana Nejim selbst hat ihre Wohnung verloren. Vor dem Krieg arbeitete sie in einem Büro und verdiente ganz gut. Dann verkaufte der Firmenbesitzer das Unternehmen, sie wurde arbeitslos und konnte die Miete nicht mehr zahlen. Seit Jahren geschieden, muss sie allein schauen, wie sie über die Runde kommt. Heute arbeitet sie für den Menschenrechtsverein und hilft den anderen Frauen bei Behördengängen, so gut es geht. Da ihr der Verein nur ein spärliches Gehalt zahlen kann, bleibe ihr keine andere Wahl, als ebenfalls in dem schäbigen Haus zu wohnen, sagt sie.
Auch ihre Mitbewohnerin Sabah Salem kann sich kaum noch erinnern, wann sie das letzte Mal frei von Sorgen war. Vor vier Jahren landete ihr Ehemann im Gefängnis, weil sich der Journalist, der bei der Tageszeitung des Informationsministeriums arbeitete, den Mund nicht verbieten lassen wollte. Kurz darauf wurde ihr Bruder in einem Familienstreit erschossen. Dann kam der Krieg.
Ihr Haus, das direkt neben der Fernmeldezentrale von Adhamiya stand, wurde von einer amerikanischen Bombe getroffen. Aussicht auf Entschädigung hat sie nicht. Das sei ein Schaden infolge der Kriegshandlungen, sagte ein Armeesprecher. Dafür werde keine Wiedergutmachung gezahlt.
Die Kurdinnen als Vorbild
Nach dem Krieg kam der Mann von Sabah Salem nach vier Jahren Haft endlich frei. Jahrelang hatte sie vergeblich nach ihm gesucht, doch der Mann, der ihr nun entgegentrat, war nicht der gleiche, den sie vor 13 Jahren geheiratet hatte. Von der Folter gezeichnet, war er psychisch gebrochenen worden. Die Ehe hielt der Belastung nicht stand, und die 40-Jährige ging. Zu ihren eigenen Angehörigen konnte sie nicht, sagt Salem mit rauchiger Stimme. Diese würden niemals akzeptieren, dass sie ihren Ehemann verlassen hat. Also blieb ihr, der Pianistin, die aus einer gut situierten, alt eingesessenen Bagdader Familie stammt, nur der Weg ins Frauenhaus.
Das Frauenhaus ist nicht das erste im Irak, aber in Bagdad. In den kurdischen Städten Arbil und Suleimaniya haben Frauenorganisationen bereits mehrere Schutzhäuser gegründet. Und sie haben eine Änderung der irakischen Rechtssprechung erreicht, die Männern bisher bei der Ermordung von weiblichen Verwandten wegen „Beschmutzung der Familienehre“ Strafnachlass oder sogar Straffreiheit gewährte.
Auf eine Signalwirkung des kurdischen Vorbilds hofft nun der Menschenrechtsverein. „In diesem Fall müssen wir von den Kurden lernen“, sagt Hana Nejim. Demnächst will sie das erste Mal in ihrem Leben nach Kurdistan reisen, um sich die Einrichtungen dort anzusehen und über eine Kooperation zu verhandeln. Denn oft ist die Unterbringung an einem Ort weit weg von der Familie die einzige Garantie für Frauen, der Bedrohung durch ihre männlichen Angehörigen zu entgehen. „Unter dem Regime verschwanden Frauen spurlos, ohne dass jemand etwas dagegen tun konnte“, sagt die Menschenrechtlerin. Mindestens 500 Frauen seien innerhalb der letzten zwei Jahre im Zentralirak entführt oder ermordet worden.
Obwohl auch sie die prekäre Sicherheitslage in Bagdad beklagt, widerspricht sie der Darstellung internationaler Menschenrechtsorganisationen, dass sich die Lage für Frauen seit dem Krieg dramatisch verschlechtert habe. „Früher konnten wir nur nicht öffentlich darüber reden und uns dagegen zur Wehr setzen.“ Die Frauen seien einfach verschwunden, und oft seien es die Regimevertreter und allen voran Udai Saddam gewesen, die hinter den ungeklärten Morden standen. „Gegen sie waren wir machtlos.“