Hamburgs Geisteswissenschaften auf Halbmast

Hamburgs Wissenschaftssenator Jörg Dräger will die Geisteswissenschaften halbieren. Mehr als 30 Fächer der Uni Hamburg sind gefährdet, darunter bundesweit einmalige Angebote. Die Dekane beklagen das Absinken zur Provinzuni. Der Senator droht: Meine Politik ist Vorbild für deutsche Unireform

„Den Kannibalismus“, klagt ein Dekan, „überlässt Senator Dräger uns“

AUS HAMBURG EVA WEIKERT

Als auf dem Hamburger Gänsemarkt Studierende kürzlich mit Megafonen „gegen die Ökonomisierung der Bildung“ demonstrierten, eilten die Passanten einfach vorbei. Studentenprotest ist längst Alltag in der Hansestadt, seit Wissenschaftssenator Jörg Dräger die Hochschullandschaft umpflügt. Der parteilose Senator will das Studienangebot strikt auf die Nachfrage des Arbeitsmarktes ausrichten und die Geisteswissenschaften auf ein Rumpfangebot schrumpfen. Diesmal hat der Kahlschlag den Zorn an der Elbe entfacht.

Die Dekane der durch den Senator bedrohten Geisteswissenschaften warnen, ihre geplante Halbierung bedeute das „Ende der Geisteswissenschaften“. Die Universität werde in ihrer Grundstruktur zerstört und auf den Status einer „unbedeutenden Provinzuni“ herabgestuft.

Der geplante Einschnitt in die Hochschule ist beispiellos. Von 155 Professorenstellen in den Geisteswissenschaften soll nur die Hälfte übrig bleiben. Die Zahl der Studienanfänger würde um 58 Prozent sinken, die der Absolventen um 18 Prozent.

Angemahnt hatte die Radikalkur ursprünglich eine Kommission unter Hamburgs Exbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD). Sie schlug vor, die Geisteswissenschaften an der Landesuni zu halbieren. Wegen der Empörung wurde auf eine Reduzierung der Professorenzahl verzichtet – zunächst. Jetzt versucht Senator Dräger die Dohnanyi-Empfehlungen durch die Hintertür einzuführen.

Dräger hat beim Hochschulinformationssystem (HIS) ein Gutachten über den Bedarf an Studienplätzen und Professoren bestellt, dem erneut die Dohnanyi-Zahlen zugrunde liegen. Nach denen seien die Geisteswissenschaften nicht zukunftsfähig. Dräger empfahl nun, listig das HIS-Gutachten zugrunde legend, die Beinaheamputation der Geisteswissenschaften.

„Wenn man begrenzte Ressourcen hat“, rechtfertigte Dräger die Kürzung gegenüber der taz, „stellt sich die Frage, wo man den Hebel zuerst ansetzt: bei der Verbesserung des Studienerfolgs oder bei der Masse?“ Für ihn zähle nur der „Qualitätsaspekt“.

Doch gerade um den geht es den Dekanen der künftigen Mini-Fakultät. Wie sie vorrechnen, verschwinden bei der Halbierung mindestens 30 Fächer – etwa 80 Prozent des bisherigen Spektrums. Bundesweit einmalige Angebote wie Vietnamistik, Thaiistik und Äthiopistik, Raritäten wie Koreanistik, aber auch Islamwissenschaften und Turkologie würden ausgelöscht. Das Fach Philosophie etwa gebe es nur noch in der Lehrerbildung. Insgesamt würde der Status der Hamburger Uni auf den einer Hochschule für Landeskinder reduziert. Jeder fünfte Studienplatz der 39.500 Studierenden-Uni fiele weg.

Trotz des heftigen Streits, den der Senator mit seinem Angriff auf die Geisteswissenschaften auslöste, ist Dräger im Regierungslager unumstritten. CDU-Bürgermeister Ole von Beust lobt ihn wegen seines „Ideenreichtums“ und Reformfleißes. Er nennt ihn gar ein Juwel. Den Rektoren der sechs Landeshochschulen geht der Uni-Umbau allerdings viel zu schnell.

Schon im vergangenen Jahr hatte der Ex-Unternehmensberater und frühere Geschäftsführer der Hamburger Bezahl-Uni „Northern Institute of Technology“ eine umstrittene Novelle des Landeshochschulgesetzes durchgesetzt. Dabei schaffte er die traditionelle Selbstverwaltung der Lehrstätten ab und setzte stattdessen größtenteils extern besetzte Hochschulräte ein. Kritikpunkte sind neben Gebühren für Auswärtige und Langzeitstudierende die Abschaffung der Frauenquote für Lehrstühle und ein Maulkorb für Studentenvertretungen, die sich nicht mehr allgemeinpolitisch äußern dürfen.

Zustimmung signalisierten die Uni-Leitungen zu dem neuen Zulassungsgesetz. Es gibt den Hamburger Hochschulen als Ersten in der Republik das Auswahlrecht an den Studierenden. Als es Dräger im Juni gelang, die Hochschulen im Sparprogramm des Senats zu verschonen, bewog das selbst schärfste Kritiker in den Präsidien zu Lob: „Der hat für uns relativ viel rausgehauen.“

Ärgster Feind ist der in den USA ausgebildete Physiker wegen seines Bekenntnisses zu Studiengebühren, Elite und seiner Nähe zur Wirtschaft für die Studentenvertretungen, die ASten. Seit einer Tortenattacke streikender Studierender betritt Dräger nur noch mit Polizeieskorte und Bodyguard den Campus. Er selbst sieht Hamburg inzwischen „an der Spitze der Hochschulreform in Deutschland“.

Warnungen, sein Schrumpfungsprogramm für die Geisteswissenschaften gefährde ein wichtiges Profilmerkmal der Uni und der Stadt Hamburg als Metropole, schlägt Dräger in den Wind. Die Debatte habe mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Schließlich bleibe die Zahl der Wissenschaftler an der Uni mit 1.464 gleich. Unerwähnt lässt er, dass die Professuren zugunsten von wissenschaftlichen Mitarbeitern mit Zeitverträgen massiv zurückgehen sollen. Orchideenfächer mit nur einem Lehrstuhl wie etwa die Südseesprachen würden das nicht überleben. Drägers Wissenschaftsbehörde setzt allerdings konkrete Fächer nicht selbst auf die Abschussliste. „Den Kannibalismus“, so ein Dekan, „überlässt Dräger uns.“

Drägers Umgang mit der HIS-Expertise hat jetzt den Präsidenten der Universität Hamburg, Jürgen Lüthje, auf den Plan gerufen. Lüthje, der fast doppelt so alt wie der smarte Senator und viermal so lang im Amt ist, hatte bisher den Weg der Zusammenarbeit beschritten.

Nun geißelt Lüthje den „gravierenden Vertrauensbruch“ durch den Senator. Er weigere sich schlicht, „die Personalbedarfsberechnungen und den Studienplatzabbau in dieser Größenordnung“ anzuerkennen.

Lüthje, ein aus der Assistentenbewegung stammender, inzwischen politisch schwer einzuschätzender Präsident, griff Dräger in der überregionalen FAZ an. Die hamburgische „vielfältige Kompetenz für Sprachen und Kulturen anderer Länder“ reiche bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück, und die Geisteswissenschaften verdienten als „Excellenzbereiche besondere Pflege“. Den Absolventenbedarf in Fächern nun aus dem örtlichen Ersatzbedarf abzuleiten sei ein „Schildbürgerstreich“. Dass die Hamburger Geisteswissenschaften zu den Spitzengruppen an deutschen Unis zählen, bescheinigt auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Die Streichorgie könnte indes noch abgewendet werden. Erstmals beugte sich der von Dräger selbst installierte Hochschulrat über die drakonischen Umbaupläne – mit wenig Sympathie. Der Rat gab eine alternative Bedarfsplanung der Uni-Leitung zur Überarbeitung zurück.