Arbeitsplätze sind nicht so wichtig

Attac will seine Sozial-Kampagne nicht im Schatten der Gewerkschaften führen. Soziale Rechte sollten unabhängig vom Wirtschaftswachstum gelten

„Es kann nicht Aufgabe der Kampagne sein, Hartz zu verbessern. Wir müssen Agenda-Setter sein“

aus Aachen DIRK ECKERT

Auf zu neuen Ufern: Die Globalisierungskritiker von Attac haben auf ihrem Ratschlag in Aachen Schröder und seinen Reformen den Kampf angesagt. Der Attac-Rat, das höchste Gremium zwischen den Bundesversammlungen, hatte schon vorher beschlossen, das Thema „Soziale Zukunft“, so der offizielle Titel, als neuen Schwerpunkt der Organisation aufzubauen. Die Basis folgte dem am Wochenende und machte den Abbau des Sozialstaats neben Kritik der Weltwirtschaft zu einem der beiden zentralen Themen für das Jahr 2004. Pazifismus, letztes Jahr wegen des Irakkriegs noch ganz oben auf der Agenda, wurde nur noch am Rande thematisiert.

Attac hat sich die neue Schwerpunktsetzung gründlich überlegt, schließlich war der erste Versuch im letzten Jahr, die klassischen Globalisierungsthemen zu verlassen und mit der Kampagne „Gesundheit ist keine Ware“ zu punkten, kläglich gescheitert. Doch das sieht Attac mittlerweile nicht mehr als Problem. Die Gesundheitskampagne sei einfach ein Jahr zu früh gekommen, erklärte Werner Rätz, Mitglied im Koordinierungskreis und einer der Protagonisten des neuen Schwerpunkts, das Scheitern. Da inzwischen deutlich sei, dass die politische Klasse die kapitalistische Krise mit einer Strategie der Kostensenkung beantworte – also Abbau sozialer Leistungen –, müsse Attac darauf auch eine Antwort finden.

Und die heißt: soziale Rechte für alle, unabhängig von Arbeit. „Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum“, formulierte Rätz. Dabei wollen die Globalisierungskritiker gar nicht erst als die besseren Reformer auftreten. „Es kann nicht Absicht des Schwerpunkts sein, Hartz IV zu verändern“, so Rätz. Stattdessen gelte es, die „Hegemonie des neoliberalen Denkens“ anzugreifen. Selbst der nicht gerade zum linken Flügel der Organisation zählende Sven Giegold will „Gegenhegemonie aufbauen“.

Allerdings betritt Attac mit Sozialabbau ein Territorium, das schon von den ungleich größeren und mächtigeren Gewerkschaften besetzt ist. Die Globalisierungskritiker sind sich des Problems wohl bewusst und setzen auf eigenes Profil: „Nicht im Windschatten der Gewerkschaften und Sozialverbände bewegen“, mahnte Peter Wahl, für die Organisation „Weed“ Mitglied im Koordinierungskreis. Auch er rät, sich nicht mit den Einzelheiten von Hartz und Beitragsquoten herumzuschlagen, sondern eher „grundlegende Orientierung“ zu bieten. Rätz sieht Attac gar als „Agenda-Setter“, der Ideen auf die Tagesordnung bringen könne. Viele Menschen würden geradezu darauf warten, dass Protest gegen Sozialabbau in Gang kommt, es fehle nur einer, der den Anfang macht. „Dieser Akteur muss Attac sein.“

Solche Worte kamen bei den Attac-Mitgliedern gut an, und so wurde der Schwerpunkt ohne größere Diskussion beschlossen. Mit dem Thema Soziales könnten Attac aber noch einige inhaltliche Konflikte ins Haus stehen. Wenn ein Attac-Mitglied argumentierte, die Globalisierungskritiker würden nur Erfolg gegen die Agenda 2010 haben, „wenn wir deutlich machen, dass diese Politik keine Arbeitsplätze schafft“, dann ist damit genau die Bruchstelle umschrieben. Für manche ist das nichts anderes als „Propagierung keynesianischer Wirtschaftsmodelle“, so etwa der Gats-Experte von Attac, Thomas Fritz. Es müsse doch gerade darum gehen, soziale Rechte unabhängig von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen einzufordern.

Eckhard Stratmann-Mertens kritisierte in Aachen den vermeintlichen Konsens gegen Sozialabbau als oberflächlich. Wer zur Lösung der Probleme den EU-Stabilitätspakt aufkündigen wolle, wie in Attac-Zusammenhängen schon mal gefordert, wolle lediglich keynesianische Politik. In einem rechtzeitig zum Ratschlag in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Strategiepapier forderte der Exgrüne, sich vom „Mythos des Wirtschaftswachstums im reichen Norden“ zu verabschieden und „gegen die weitere kapitalistische Globalisierung – sei sie neoliberal oder neokeynesianisch“ – zu kämpfen. Damit stellt sich aber die Frage, welche Alternativen Attac zu bieten hat. Die Lösung soll wie so oft eine Arbeitsgruppe bringen, die „Wege zu einer alternativen Weltwirtschaftsordnung“ ausarbeiten soll. Doch auch das stößt bei manchen auf Skepsis. Daraus dürfe kein Parteiprogramm werden, warnte Claudia Meyer vom DGB gegenüber der taz.