: Im Süden blüht das Verbrechen
Zweistellige Zuwachsraten: Gewaltkriminalität explodiert im Süderelberaum. Mehr jugendliche Täter und neue Drogenszenen prägen das düstere Bild. Harburgs SPD setzt zur Bekämpfung ausschließlich auf polizeiliche Mittel
Von Marco Carini
Alles Lüge. Die Behauptung, seit dem Amtsantritt von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vor knapp drei Jahren sei Hamburg den zweifelhaften Titel, deutsche „Hauptstadt des Verbrechens“ zu sein, losgeworden, wird vom Senat höchstselbst eindrucksvoll widerlegt: in der Antwort auf zwei SPD-Anfragen. Egal ob allgemeine Gewaltkriminalität (+ 3,7 Prozent), Körperverletzungen (+ 9,2 Prozent), schwere Sexualstraftaten (+ 23,2 Prozent) oder Widerstand gegen die Staatsgewalt (+ 20,1 Prozent) – bei allen Delikten stieg die Zahl der erfassten Delikte im vergangenen Jahr Besorgnis erregend an.
Besonders schlimm stellt sich demnach laut der SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Sabine Boeddinghaus die Situation in Harburg dar: Zwei- bis zum Teil dreistellige Delikt-Zuwachsraten in nur einem Jahr zeichnen ein alarmierendes Bild der Situation in dem Süderelb-Bezirk.
So nahm die allgemeine Gewaltkriminalität hier 2003 im Vergleich zum Vorjahr um 11,4 Prozent zu, bei Jugendlichen bis 21 Jahre aber sogar um knapp 43 Prozent. Die Zahl der Widerstandshandlungen stieg bezirksweit um 52,3 Prozent, die der schweren Sexualdelikte um 66,7 Prozent. Fast 40 Prozent mehr Raubüberfälle auf Geschäfte und 26,3 Prozent mehr Raubdelikte von Jugendlichen in nur einem Jahr komplettieren das Bild.
In einzelnen Stadtteilen sieht es sogar noch dramatischer aus: So stieg im vergangenen Jahr in Harburg-Heimfeld die allgemeine Gewaltkriminalität bei Jugendlichen um 150 Prozent, die Zahl der erfassten Drogendelikte um 102 Prozent und die der Vergewaltigungen und Nötigungen um unglaubliche 350 Prozent.
Sabine Boeddinghaus spricht von einem „schockierenden Zuwachs.“ „Die Zahlen übertreffen unsere schlimmsten Erwartungen.“ Harburg entwickele sich „immer mehr zum Kriminalitätsbrennpunkt in Hamburg“.
Schuld an dieser Entwicklung ist für die SPD-Parlamentarierin „der größer werdende soziale Druck“ durch die zunehmende Verarmung weiter Bevölkerungsgruppen, aber auch die Vertreibungspolitik des Senats rund um den Hauptbahnhof. „Dadurch haben sich etwa in Heimfeld oder im Phoenixviertel neue Drogenszenen entwickelt“, weiß Boeddinghaus. Und weiter: „Die Drogendealer geben sich hier jetzt die Klinke in die Hand.“
Auffällig: Auch wenn die SPD-Parlamentarierin von einer notwendigen Balance „von Prävention und Repression“, Sozialarbeit und Kriminalitätsbekämpfung spricht, findet sich im zweiseitigen Forderungskatalog der SPD ganz populistisch nur der Ruf nach mehr Polizei wieder – dafür in zahlreichen Varianten: Mehr Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit, kein Stellenabbau bei der Polizei und der Ausbau des „Cop 4 U“-Programms an den Schulen sollen die Kriminalitätsrate wieder nach unten drücken. Die Forderung nach einer Verbesserung der sozialen Angebote für Jugendliche und Familien, Drogenkranke und Arbeitslose findet sich in der SPD-Erklärung bemerkenswerterweise nicht.