: Das andere Geschlecht, eine andere Gesellschaft?
„Die Wiederentdeckung der Gleichheit“: Elisabeth Badinter gegen den Differenzfeminismus
VON WARNFRIED DETTLING
„Die Wiederentdeckung der Gleichheit“ ist ein anregendes und provozierendes Buch. Es thematisiert Fragen und Perspektiven, die nicht nur das je andere Geschlecht betreffen, es eröffnet auch Horizonte einer anderen Gesellschaft – und was Männer und Frauen, vielleicht sogar auf der gleichen Seite der Barrikaden, dazu beitragen könnten.
Das französische Original hat einen präzisen Titel: „Fausse route“, der falsche Weg. Badinter, Professorin für Philosophie und Geschichte an der École Polytechnique, hat kein wissenschaftliches Traktat über die Geschlechter vorgelegt, sondern eine ideenpolitische Streitschrift gegen die „Regression“ der Differenzfeministinnen, und sie hält ein leidenschaftliches Plädoyer für einen universalistischen Feminismus in der Tradition von Simone de Beauvoir.
Herausgekommen ist ein gelungenes Pamphlet, das Furore gemacht hat, als es vor gut einem Jahr in Frankreich erschien. Die Autorin habe den Feminismus entstellt, um ihn besser bekämpfen zu können; sie habe die Frauen zu einer Anpassung an die Welt der Männer aufgerufen und schließlich die real existierenden Ungleichheiten verschwiegen, unter denen Frauen zu leiden hätten. Als dann noch der Vorwurf hinzu kam, sie huldige dem neoliberalen Zeitgeist, dessen Milieu die großbürgerliche Autorin ja schließlich entstamme, da waren die Fronten endgültig klar. Und im Lärm und Rauch der wilden Debatte ging dann bald unter, worum es eigentlich geht: der Autorin, aber auch in der gegenwärtigen Lage.
Die zentrale These des Buchs ist rasch erzählt. Es gibt zwei Arten von Feminismus, so Badinter, die Welten voneinander trennen. Auf der einen Seite stünden jene Theoretikerinnen, die wie sie selbst von der prinzipiellen Gleichheit beider Geschlechter ausgehen und sich auf das jeglichen Geschlechtsunterschied überragende universelle Prinzip der Menschenrechte berufen. Auf der anderen Seite befänden sich die Theoretikerinnen des so genannten Differenzdenkens. Diese gehen davon aus, dass es einen grundlegenden Unterschied der Geschlechter gibt und man entsprechend für besondere Rechte der Frau eintreten müsse; die universalistische Theorie der Menschenrechte habe schon immer die Frauen benachteiligt. Es ist dies eine Kontroverse, die lange zurückreicht und einen Höhepunkt auf dem Kongress „Differenz und Gleichheit“ im Jahre 1989 in Frankfurt am Main erlebte.
Aus dieser Kontroverse lassen sich Thesen und Polemiken der Autorin ableiten. Im Prolog erinnert sie an die gute alte Zeit in den 70er- und 80er-Jahren, als es nicht nur für die französische Linke, sondern auch für den Feminismus aufwärts ging: „Sobald eine Frau den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdient, kann sie einen Mann verlassen, den sie nicht mehr erträgt. Durch die Freigabe von Empfängnisverhütung und Abtreibung sahen sich die Frauen der westlichen Länder mit einer Macht ausgestattet, die in der Menschheitsgeschichte bislang beispiellos war. Diese Revolution bezeichnete das Ende des Patriarchats. Wir hatten das Gefühl, dass sich eine grundlegende Umwälzung im Verständnis der Geschlechterrollen vollzog. Die Gleichheit der Geschlechter wurde zum letzten Kriterium einer echten Demokratie.“
Nach der Euphorie jener Tage kamen Enttäuschung und Bitternis: Nichts habe sich wirklich geändert, außer dem Feminismus selbst. „Weil der Feminismus der letzten Jahre von der Identitätsproblematik und der Idee, dem männlichen Geschlecht den Prozess zu machen, geradezu besessen war, hat er jene Kämpfe links liegen lassen, denen er seine Existenzberechtigung verdankt. Die sexuelle Freiheit weicht dem Ideal einer gezähmten Sexualität, während man den Mythos des Mutterinstinkts wieder aufleben sieht, ohne dass irgendjemand dagegen Einspruch erhöbe.“ Und so schreibt Badinter denn gegen die feministischen Themen an: gegen die „viktimistische Philosophie und Methode“, die überall nur Opfer sieht; gegen die Blindheit des neuen Feminismus für den Machtmissbrauch der Frauen selbst; gegen den „Mythos“ einer „gezähmten“ und die Konstruktion einer besonderen weiblichen Sexualität.
Badinter hat sicher Recht, wenn sie sagt, die Auflösung der alten Rollenmuster verstört nicht wenige. „Viele Männer sehen darin den Grund für den Niedergang ihrer Macht und zahlen es den Frauen heim.“ Aber sie schießt immer wieder übers Ziel hinaus und klammert wichtige Themenfelder einfach aus. Es lässt sich schwer bestreiten, dass die Übergänge bei der (männlichen) Gewalt gegen Frauen fließend sind und dass es keine quantitative Entsprechung der (weiblichen) Gewalt gegen Männer gibt. Bei aller Liebe zur Gleichheit hat eine Mutter eine andere Nähe zu ihrem gerade geborenen Kind als der Vater. Es gibt Tätigkeiten, die werden mehr von Frauen und weniger von Männern ausgeübt. Sie sind deshalb noch nicht typisch weiblich oder männlich und doch sehr resistent gegen den Rollentausch: Zufall oder Natur oder etwas Drittes?
Die Nichtunterscheidung ‚des‘ Mannes und ‚der‘ Frau ist Voraussetzung für die Vielfalt der Identitäten und für unsere Freiheit“, sagt sie im Epilog, und auch hier möchte man ihr gerne zustimmen. Aber sind das nicht eher die siegreich geschlagenen Schlachten von gestern als die offenen Fragen von morgen? Was kommt nach der bürgerlichen Familie? Sie ist als Modell passé, aus ökonomischen wie aus kulturellen Gründen. Dass Frauen ihren gleichen Anteil wie die Männer bekommen, war der Kampf der Feministinnen der ersten Stunde à la Badinter. Dieser Kampf ist noch nicht zu Ende, es gibt noch keine Gleichheit vor und in den Mauern der Arbeitswelt. Badinters Buch lässt die andere Seite der Gesellschaft unbedacht: Wer bringt Zeit, Liebe, Zuwendung in die Familien und in die Welt?
Man kann diese Frage nicht mehr wie früher auf den Frauen abladen wie anderswo das Reisig auf einem Esel. Wie aber müsste eine Gesellschaft aussehen, in der beiden Geschlechtern beide Welten offen stehen? Badinter hat Klischees kritisiert: schwache Frauen, gefährliche Männer. Aber sie hat keine Hoffnungen auf eine andere Gesellschaft begründet. Erst wenn der Blick wieder aufs Große und Ganze geht, wird es auch Fortschritte geben beim „anderen“ Geschlecht.
Elisabeth Badinter: „Die Wiederentdeckung der Gleichheit“. Aus dem Französischen von Petra Willim. Ullstein Verlag, Berlin 2004, 190 Seiten, 18 Euro