die deutschen rentner und ihr wirtschaftswunder : Fröhlich auferstanden aus Ruinen
Neid auf die Renten heutiger Pensionäre sei ungerecht, heißt es. Immerhin hätten die Alten Deutschland wiederaufgebaut
Neulich hat Philipp Mißfelder schweren Ärger bekommen. Sogar Drohbriefe habe er erhalten, von aufgebrachten Menschen, die ihn als undankbar ziehen, sagte der Nachwuchskader der Union im vorsitzenden Wartestand ihrer Früherwachsenenorganisation, der Jungen Union. Dabei rückte er nur eine gewisse Lebenslüge der Bundesrepublik zurecht: dass aller Wohlstand in den Fünfzigern begründet worden sei, dass unsere Fettlebe auf den Knochen der heute Gebrechlichen erarbeitet wurde.
Man konnte an der Art des Protestes erkennen, dass der Nachwuchspolitiker einen wunden Punkt berührt hatte. In den Wirtschaftswunderjahren wurde keineswegs rund um die Uhr gearbeitet und mitnichten alle Knochen der Förderung des Bruttosozialprodukts zur Verfügung gestellt. Ein Blick in Fotoalben gewöhnlicher Familien in den Fünfzigern beweist: Die haben ziemlich kräftig gefeiert, damals. Recht so: Gerade für die Proleten waren die Fuffziger das stärkste Jahrzehnt – es gab Arbeitsplätze und genug Waren, die man sich leisten konnte oder denen man hinterhersehnte.
Es war die Zeit heftiger Streiks, gerade in den Schlüsselindustrien. Arbeitszeitverkürzungen wurden erkämpft und höhere Löhne. Was früher zum Wohle der Volkswirtschaft auch keineswegs dysfunktional war, schließlich war die Bundesrepublik ein, verursacht durch die Kriegszerstörungen, einziges und vom Globalisierungsdruck noch verhältnismäßig unbehelligtes Investitionsparadies.
Die Adenauer-Regierung tat mit ihren Rentenbeschlüssen ein Übriges, um den Glauben an Marktwirtschaft und Westbindung zu befördern: Indem sie die Renten an den Generationenvertrag knüpfte und vom Ruch des Almosens befreite. Seither existiert der Glaube, dass die Alten es aus eigener Kraft geschafft haben, sich Renten zu erarbeiten, deren Höhe denen der Nettolöhne fast gleichkommt.
Die Wahrheit ist, dass die heutigen Rentner globalisierungsarm schuften konnten. Dass sie, schon des Facharbeitermangels wegen, Überstunden schoben und schieben mussten, bis wenigstens der Sockel eines Eigenheims bezahlt werden konnte. Das taten die heutigen Rentner gerne – sonst wäre die Disziplin, mit der der persönliche Wohlstand erackert wurde, nicht zu erklären. Die Fuffziger – das war die deutsche Partygesellschaft in ihrer Urszene. Den Nazidreck hatte man hinter sich, alles durfte gleichsam neu erfunden werden. Auf den Trümmern auferstanden, jawoll, aber unter günstigsten Umständen.
Außerdem: Noch nix war postmodern, dafür fast alles traditionell. Nur Ehen und Familien gab es, in denen Mutti zu Hause blieb und Vati malochte. Diese deutschen Verhältnisse hörten irgendwann auf, Mitte der Sechzigerjahre. Nur noch Wunschkinder sollte es geben – was gut war. Schließlich gab es immer weniger Nachwuchs, und den von Einwanderern wollte man nicht.
Kurzum: Die heutigen Rentner haben nicht mehr gearbeitet als jene, die heute irgendwo in Lohn und Brot stehen. Dass es nicht mehr so üppig Jobs gibt, dass es nur noch wenige solcher gibt, die den Mythos stiften, solche, bei deren Verrichtung noch Schweiß floss und nie Tränen, ist dem Produktivitätsfortschritt zu danken.
Sie machten es nicht für Deutschland, sondern für sich. Gut so! Aber es rechnet sich nicht mehr: Schlecht so. Eine Debatte über warme Erbschaften wäre nötig. Die Steuern auf sie sind ein Witz. Sollte der junge Mißfelder mal anstoßen. Wer in der Politik was werden will, muss anecken.
JAN FEDDERSEN