Für immer weggeschlossen

Bundesverfassungsgericht verhandelt über den Wegfall der Zehnjahresfrist bei der Sicherungsverwahrung. Gefangener fordert Vertrauensschutz: Die zeitliche Beschränkung entfiel erst 1998. Justizministerium: Maßnahme dient der Prävention

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Eines war nach diesem Tag klar: Reinhard M. wird die Sicherungsverwahrung nicht so schnell verlassen. Dennoch könnte seine Verfassungsbeschwerde einiges bewirken. Die acht Karlsruher RichterInnen interessierten sich gestern, am ersten Tag der Verhandlung, auffällig für die Ausgestaltung des Vollzuges und die Qualität von Sachverständigen-Gutachten.

Der heute 46-jährige Reinhard M. wurde 1986 wegen eines versuchten Raubmordes zu fünf Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wurde er deshalb nicht entlassen, sondern musste im Gefängnis bleiben. Damals war die Sicherungsverwahrung allerdings noch auf maximal 10 Jahre beschränkt. Erst 1998 hob der Gesetzgeber diese zeitliche Beschränkung auf. Seitdem kann Sicherungsverwahrung gleich unbefristet angeordnet werden – bis der Täter nicht mehr als gefährlich gilt.

Gegen diese Verschärfung erhob M. Verfassungsbeschwerde, denn sie galt auch für alle, die bereits damals in Sicherungsverwahrung saßen. „Mein Mandant ging fest davon aus, dass er 2001 entlassen wird“, argumentierte gestern Rechtsanwalt Bernhard Schroer aus Marburg, „die Neuregelung hat seine Lebensplanung völlig verändert“. Schroer beruft sich auf eine Klausel im Grundgesetz, wonach Strafgesetze nicht rückwirkend angewandt werden dürfen. Niemand darf härter bestraft werden, als zum Zeitpunkt der Tat im Gesetz vorgesehen war.

Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Justizministerium, hält diese Bestimmung aber hier für nicht anwendbar. Die Sicherungsverwahrung sei eben keine Strafe mehr, sondern eine präventive Maßregel. Dabei gehe es nicht um den Ausgleich für individuelle Schuld, sondern um den Schutz der Bevölkerung. „Dabei kann es keinen Vertrauensschutz für Straftäter geben“, argumentierte Geiger. Derzeit sitzen in Deutschland rund 300 Menschen in Sicherungsverwahrung. Etwa ein Drittel müsste sofort oder bald entlassen werden, wenn M.s Klage Erfolg hätte.

Doch damit ist nicht zu rechnen. Als der federführende Richter Rudolf Mellinghof die Kriminalgeschichte M.s verlas, war jedem im Verhandlungssaal klar, dass die Richter hier wohl keine Milde walten lassen. M. war seit seinem 15. Lebensjahr ständig in Haft. Nach jeder Entlassung wurde er in wenigen Wochen erneut straffällig, zwei Mordversuche sind bisher die schlimmsten Taten. In Haft wandte er sich der rechten Szene zu und verprügelte Mitgefangene.

Die Richter werden deshalb wohl eher fordern, die Sicherungsverwahrung deutlicher von der Strafhaft zu unterscheiden. Mehr Hofgang, Abschaffung des Arbeitszwangs oder bessere Besuchsmöglichkeiten wurden diskutiert. Mit großem Interesse beriet das Gericht auch über die Qualität der Sachverständigen-Gutachten. „Schlechte Gutachten sind kaum besser als der Zufall“, erklärte gestern Psychiatrieprofessor Andreas Marneros aus Halle. Gut möglich, dass das Gericht bei der Verhängung von Sicherungsverwahrung, aber auch wenn es um eine spätere Entlassung geht, künftig nur noch besonders qualifizierte Gutachter ans Werk lassen will – sowohl im Interesse der Straftäter wie auch der Öffentlichkeit.

Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet. Heute wird das Gericht allerdings erneut über die Sicherungsverwahrung verhandeln. Dabei werden Landesgesetze geprüft, die noch über das Bundesrecht hinausgehen.

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