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Archiv-Artikel

Irgendwann wird die Rechnung fällig

Rekorddefizit im US-Haushalt. Die US-Wirtschaftspolitik eines Wachstums auf Pump taugt nicht als Vorbild für Europa

NEW YORK taz ■ Wären die USA Mitglied in der EU, bekämen sie dicken Ärger mit der Brüsseler Kommission. Mit einem Haushaltsdefizit in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hätten sie den Stabilitätspakt massiv verletzt.

Das Loch im Staatshaushalt hat sich im Laufe des im September zu Ende gegangenen Haushaltsjahrs mehr als verdoppelt auf 374 Milliarden Dollar – das höchste Staatsdefizit in der Geschichte der USA. Die US-Regierung verwies erfreut darauf, dass es dank höherer Steuereinnahmen in den letzten Monaten immerhin 81 Milliarden weniger seien als bislang erwartet. Der Haushaltsdirektor des Weißen Hauses sah dies als „ermutigendes Zeichen, dass unsere Wirtschaft an Fahrt gewinnt“.

Trotzdem dürfte das Defizit im nächsten Jahr 500 Milliarden Dollar übersteigen – ein weiter Abstieg von dem Haushaltsüberschuss von 2 Prozent im Jahr 2000, dem letzten Amtsjahr von George Bushs Vorgänger Bill Clinton.

Andererseits aber könnte es ja sein, dass diese Politik des „Deficit Spending“ – der Staat lebt auf Pump, um die Wirtschaft anzukurbeln – wirkungsvoll ist. Das Wirtschaftswachstum in den USA soll im dritten Quartal dieses Jahres immerhin satte 5,5 Prozent erreichen, vielleicht sogar 6 Prozent. Ein Vorbild für Europa?

Nein, meint Martin Hüfner, der Chefvolkswirt der HypoVereinsbank, bei einem Besuch in den USA: „Ich habe das Gefühl, dass die Party hier nur noch bis zu den Präsidentschaftswahlen nächstes Jahr laufen wird. Die Wahl wird mit dem Versprechen, den Haushalt zu konsolidieren, gewonnen werden, und danach wird auch konsolidiert.“ Ohnehin rät Hüfner nicht dazu, das US-Modell zu imitieren. „Europa hat sein eigenes Modell – dezentraler, auf kleinen und mittelständischen Betrieben basierend und nicht zuletzt auch mit einer gleicheren Einkommensverteilung als Ziel.“

Unterdessen merkt das Volk in den USA nicht viel vom Aufschwung. Im Sommer hatte die Arbeitslosenrate mit 6,4 Prozent den höchsten Stand in bald einem Jahrzehnt erreicht. Seither gab es einen leichten Rückgang auf 6,1 Prozent, während zugleich die Löhne und Gehälter stagnieren. Von den Steuerermäßigungen im Umfang von 350 Milliarden Dollar haben diejenigen, die nicht zur Gruppe der Höchstverdiener zählen, auch nicht viel. Eine durchschnittliche amerikanische Familie zahlt im gesamten Jahr 2004 etwa 700 Dollar weniger an Steuern als vor den Steuerreformen der Bush-Regierung. Die ärmeren 50 Prozent der US-Familien können nur mit 100 Dollar weniger Steuern rechnen. Zugleich nimmt der Staat für jede Familie rund 1.500 Dollar Schulden auf, um die Steuerreformen zu finanzieren.

„George W. Bush ist wie einer, der Ihnen einen tollen neuen Fernseher zu Weihnachten schenkt, aber dabei zu erwähnen vergisst, dass er diesen mit Ihrer Kreditkarte bezahlt und bei dieser Gelegenheit damit noch ein paar Sachen für sich selbst gekauft hat“, erklärt der Princetoner Wirtschaftsprofessor Paul Krugman. „Irgendwann wird die Rechnung fällig, aber das wird Ihr Problem sein und nicht seins.“ Was bleibt von den Steuerreformen, ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. NICOLA LIEBERT