: Montags bleibt Vati jetzt zu Hause
Die Hartz-Gegner mobilisierten wieder zehntausende. Weitere Aktionen werden folgen, obwohl die Reform umgesetzt wird. Was haben die vielen Demonstrationen gebracht? Zeit genug, Luft zu holen und eine Bilanz zu ziehen. Zwei Ansichten
Alles umsonst, alles vergebens – die Gleichen, die jetzt das klägliche Ende des Hartz-Protestes verkünden, haben noch im Sommer gar nicht daran geglaubt, dass über Wochen hinweg bundesweit bis zu 150.000 Menschen gegen die verhasste Arbeitsmarktreform auf die Straße ziehen würden. Aber auch Politiker, Polizei und selbst langjährige Demo-Aktivisten haben selten einen Protest so unterschätzt wie die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV. Am Samstag kamen entgegen vieler Erwartungen fast 50.000 Menschen zum Alexanderplatz, der Höhepunkt der bisherigen Anti-Hartz-Proteste in Berlin. Zahlen sind eine Angabe, an denen der Proteste gemessen wird. Doch über die Qualität sagen sie nur wenig aus. Was brachte der Protest?
Hartz IV hat das Demokratieverständnis geschärft – im Osten bei den Menschen, im Westen bei den Politikern. Erstmals begreifen zehntausende Ossis Arbeitslosigkeit nicht länger als ein individuelles Problem. Sie wachen aus ihrer Lethargiestimmung auf und nehmen nach 14 Jahren Einigkeit und Recht und Freiheit ihr urdemokratisches Demonstrationsrecht wahr. Sie kommen aus unterschiedlichen Milieus und haben sich zu einem heterogenen, aber dennoch einigenden Bürgerprotest zusammengeschlossen. Vor allem aber ist über die Proteste ein kritisches Bewusstsein entstanden über ein Gesetzeswerk, das noch im Frühsommer nicht mal die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen verstanden hatten. Mit der Erhöhung der Kinderfreibeträge und der rechtzeitigen Auszahlung ab dem 1. Januar 2005 sorgten die Hartz-Gegner wenn nicht für einen Kurswechsel so doch für einzelne Korrekturen an der verhassten Arbeitsmarktreform. Wie oft hat es das in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben, dass Politiker vor Demonstranten Muffensausen bekommen und zu Eingeständnissen bereit sind? Bei Clement, Schröder und Stoiber ist die Message zumindest angekommen: Uneingeschränkt können sie den Sozialstaat nicht demontieren und dabei den Willen der Massen ignorieren. Rot-Grün setzt zumindest verbal wieder auf die soziale Karte. Weitere Einschnitte ins Sozialsystem haben sie zunächst auf Eis gelegt. Und selbst CDU-Anhänger versagen ihrer Vorsitzenden Angela Merkel die Unterstützung, weil sie zu denen gehört, die weitere Einschnitte fordert – etwa mit der höchst unsozialen Kopfpauschale für die Krankenversicherung. Bei allem Bedarf für Reformen auf dem Arbeitsmarkt – der Protest gegen Hartz IV in dieser Härte ist berechtigt. Denn während Rot-Grün vor allem dem gehobenen Mittelstand Steuererleichterungen zubilligt, mit dem Argument, damit die Investitionsbereitschaft zu erhöhen, schrumpfen die Leistungen von Arbeitslosen auf einen leicht angehobenen Sozialhilfesatz. Anders als der Mittelstand werden Spitzenverdiener kaum mehr Geld bei Karstadt lassen, um damit den Konsum anzukurbeln. Sie investieren ihr Geld lieber in Aktien.
Sicherlich ist es eine richtige Entscheidung, die Montagsdemonstrationen in ihrer bisherigen Form nicht weiter fortzuführen. Jede Aktionsform läuft sich auf Dauer tot. Damit aber allgemein das Ende des Protestes zu prophezeien, ist zu kurz gedacht. Spätestens wenn die Software in den Job-Centern läuft und die Computer für jeden errechnet haben, wie wenig tatsächlich ab dem 1. Januar 2005 auf das Konto fließt, könnte der Protest wieder aufflammen. Dann wird sich zeigen, dass der Protest gegen Hartz IV nicht nur ein Aufflackern empörter Ossis ist, sondern das Fundament gelegt hat für eine echte soziale Opposition.
FELIX LEE
Die letzte große Montagsdemonstration war eine Samstagsdemonstration. So tut der Abscheid nicht ganz so weh. Traditionen sind schließlich hartlebig.
Nun also wird allenthalben Bilanz gezogen. Was haben die montäglichen Versammlungen gebracht, was nicht? Wären sie vielleicht stärker gewesen, wenn es die Spaltung in das Bündnis und die MLPD nicht gegeben hätte? Gleicht der Verlauf der Mobilisierungskurve nicht ohnehin einer Fieberkurve, abflauen inbegriffen und also auch nicht zu ändern? Haben die Demonstrationen, wenn sie schon nicht tagespolitisch von Erfolg gekrönt waren, wenigstens subkutan etwas verändert? Womöglich sogar die politische Kultur?
Sie haben. Auch wenn Hartz IV zum Januar in Kraft treten wird, haben die Proteste Spuren hinterlassen, deren Verlauf man vielleicht erst in einigen Jahren nachzeichnen können mag. Erste Andeutungen aber gibt es bereits. Die jüngsten Wahlergebnisse, vor allem in Ostdeutschland, zeigen zweierlei. Einen Bedeutungsverlust für die „Volks“- oder besser Hartz-Parteien SPD und CDU sowie eine dauerhafte Abstinenz vom Wahlgeschehen. In beidem drückt sich eine zunehmende Distanz des Bürgers von der Politik aus. Eine Distanz, die durch die bloße Formel von der „schlechten Kommunikation“ der Hartz-Gesetze nicht besser wird. Wer den größten Kahlschlag am sozialen System der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen verteidigen will, sollte ihn auch beim Namen nennen.
Das zweite Ergebnis ist der Wahlerfolg der rechtsextremen Parteien. Ihn mit einem angeblichen Populismus der PDS zu erklären, hieße, den Hasen mit dem Igel zu verwechseln. Die DVU und die NPD sind in Brandenburg und Sachsen in die Landtage gekommen, weil die PDS zu schwach war, den rechten Rand zu binden, wie sie es vorher getan hat. Man wird sich wohl zunächst mit einem „rechten Antikapitalismus“ abfinden müssen.
Beide Ergebnisse zusammen allerdings sind gefährlich. Eine weitere Erosion im Vertrauen in die politische Klasse würde eine Lücke reißen, bei der unklar ist, wer sie mit welchen Mitteln füllt: Die Rechtsextremen, die noch stärker werden? Die PDS? Die Nichtwähler? Wem verleihen jene künftig ihre Stimmen, die sich als Hartz-Verlierer fühlen, oder es auch sind?
Es steht also die Frage auf der Tagesordnung, wie diese Lücke wieder gefüllt werden kann. Hier steht vor allem die Politik in der Pflicht. Doch viel scheint derzeit nicht zu erwarten zu sein. Der einzige Hartz-Befürworter, der zuletzt versucht hat, die Distanz zwischen Politik und Bürgern wieder zu verringern, war der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck. Er hat es nicht mit einer Revision seiner Überzeugungen getan, sondern mit Ehrlichkeit. Das schafft zwar noch keine Zustimmung, aber Vertrauen.
In Berlin ist ein solches Vertrauen eher bei der PDS zu verorten. Während die SPD und die CDU weiter die Unschuldslämmer in Sachen Geldvernichtung beim Tempodrom und der Bankgesellschaft mimen, haben die Postsozialisten die Rolle des ehrlichen Maklers übernommen. Heidi Knake-Werner ist gegen Hartz IV. Aber sie sorgt dafür, dass das Geld im Januar pünktlich kommt und keiner seine Wohnung verlassen muss.
Vielleicht ist das ja eine der Spuren, auf die uns Hartz und die Proteste gesetzt haben: Eine der zentralen Kategorien bei der Beurteilung politischer Entscheidungen wird künftig die Glaubwürdigkeit sein. Und die ist nicht auf einzelne Parteien abonniert, sondern gleichermaßen rar verteilt.
UWE RADA