piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Armee leuchtet – und strahlt dabei zu sehr

Radioaktive Leuchtfarbe in Bundeswehrfahrzeugen soll zehntausende Soldaten verstrahlt haben. Sie verlangen Entschädigung. Das Verteidigungsministerium sieht keinen Zusammenhang zwischen Farbe und Erkrankungen

BERLIN taz/afp ■ Mehrere zehntausend Soldaten der Bundeswehr sollen durch radioaktive Leuchtfarbe krank geworden sein. Die Farbe, mit der beispielsweise Schalter und Hinweisschilder in Cockpits und Panzern bemalt waren, soll nach einer Studie der Charité die zulässigen Strahlungswerte um das 273fache überschritten haben. Das Thema werde den Verteidungsausschuss des Bundestags „wohl noch einmal beschäftigen“, sagte der für Sicherheitspolitik zuständige SPD-Fraktionsvize Gernot Erler gestern der taz.

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet in seiner heutigen Ausgabe über Soldaten, die aufgrund der Strahlenbelastung an Krebs erkrankt sein oder andere schwere Gesundheitsschäden erlitten haben sollen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte gestern dagegen, von einer hohen Zahl an Erkrankungen sei nichts bekannt. Es bestehe „kein Zusammenhang zwischen der Farbe und eventuellen Erkrankungen“. Die Bundeswehr habe schon Mitte der 60er-Jahre reagiert und die betroffenen Teile von Spezialfirmen ausbauen lassen. Allerdings könnten die entsprechenden Anweisungen in Einzelfällen nicht befolgt worden sein.

Von solchen Fällen sollen dem Spiegel zahlreiche ehemalige Soldaten berichtet haben. Pensionierte Bundeswehrangehörige, die an Krebs leiden, gaben auch die Studie bei der Charité in Auftrag. Sie wollen auf Entschädigungen klagen. Dass die Leuchtfarbe krank machen kann, bestätigte auch der Leiter des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König. Er hält eine Zahl von zehntausenden Betroffenen aber für unrealistisch.

Beim Fall Leuchtfarbe gibt es Parallelen zu der Diskussion um die Radargeräte der Bundeswehr. Deren Krebs auslösenden Strahlen waren Soldaten in den 60er- und 70er-Jahren wegen mangelnder Abschirmung ausgesetzt. Vor drei Jahren verlangten mehrere hundert kranke Soldaten Entschädigung, das Verteidigungsministerium erkannte jedoch nur wenige Fälle an. Damals richtete die Bundeswehr auf Druck der Öffentlichkeit eine Kommission ein, um die Vorfälle zu untersuchen.

Diese Kommission hat auch die Risiken durch die Leuchtfarbe bewertet. Die von der Armee bestellten Experten kamen laut Verteidigungsministerium zu dem Ergebnis, dass eine „hohe Gefährdung keinesfalls gegeben war“ und „keine Ursächlichkeit für irgendwelche Krebserkrankungen“ durch den Umgang mit der Strahlenfarbe festzustellen sei. Peter Rasch vom Bund der Radargeschädigten spricht von „einer Wiederholung der Geschichte“.

Auf jeden Fall wird sich die Bundesregierung mit dem Fall befassen müssen. Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Günther Nolting, will über die radioaktive Leuchtfarbe bei der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses in anderthalb Wochen reden. Eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung will Nolting ebenfalls stellen. Die Vorwürfe seien vorerst schwer einzuschätzen, sagte Nolting. „Deshalb brauchen wir schnell Aufklärung.“

DANIEL SCHULZ