: Beckstein: Bund drückt sich um Gesetz
Bei der Verhandlung über die Sicherungsverwahrung prüfte das Bundesverfassungsgericht gestern Landesgesetze
KARLSRUHE taz ■ Darf Sicherungsverwahrung auch noch lange nach dem Strafurteil verhängt werden? In der Verhandlung über die Sicherungsverwahrung wurden gestern vom Bundesverfassungsgericht die Landesgesetze aus Bayern und Sachsen-Anhalt geprüft.
Kläger waren zwei Straftäter aus Bayreuth und Halle. Der 69-jährige Albert H., der angeblich nur einen IQ von 67 hat, erschien sogar im Gericht; ein kleiner, korpulenter Mann am Krückstock. Mehrfach hatte er junge Mädchen vergewaltigt, Gutachter befürchten, dass er zumindest noch Kinder begrapschen und auch verletzen könnte. Der 37-jährige Sexualmörder Frank O. hat bereits eine Frau getötet, bei einem zweiten Mordversuch wurde er gestört. Gutachter warnen vor seiner Entlassung.
Normalerweise wird die Sicherungsverwahrung für potenziell gefährliche Rückfalltäter bereits im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten. Der Täter muss dann nach Verbüßung der Strafe im Gefängnis bleiben, bis er nicht mehr als gefährlich gilt. Bei H. und O. hatten die Strafgerichte darauf verzichtet.
Vor allem Unions- und FDP-Politiker wollten in solchen Fällen auch nachträglich noch die Sicherungsverwahrung anordnen. Offiziell geht es ihnen natürlich nicht um eine Korrektur von Strafurteilen. Vielmehr heißt es, die fortdauernde Gefährlichkeit eines Täters zeige sich oft „erst im Strafvollzug“. Derzeit gibt es entsprechende Gesetze in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Andere Länder wollen nachziehen.
Johannes Driendl, der Anwalt von H., hält solche Landesgesetze jedoch für unzulässig. „Nur der Bund kann die Sicherungsverwahrung regeln“, so sein Hauptargument. Tatsächlich finden sich die entsprechenden Normen bisher im Strafgesetzbuch, einem Bundesgesetz. Die Verfassungsrichter zeigten gestern großes Verständnis für die Klage. „Ist denn nun der Bund zuständig oder die Länder?“, fragte ungeduldig der federführende Richter Rudolf Mellinghoff. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) zeigte sich flexibel. Erneut forderte er ein Bundesgesetz. Ein Landesgesetz sei eben nur „zweitbeste Lösung“.
Am heftigsten für die Landeskompetenz stritt gestern der Bund. Dies erklärte Beckstein damit, dass „die SPD keinen Ärger mit den Grünen haben will und die Verantwortung deshalb auf die Länder abschiebt“. Die praktische Relevanz der vier Landesgesetze ist bisher beschränkt. Insgesamt haben die Gerichte erst 5-mal die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet. Es gab mehr als 50 Anträge.
Mit einem Urteil aus Karlsruhe ist erst in einigen Monaten zu rechnen. CHRISTIAN RATH