piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Ende des Orienttabaks

„Es wird weiterhin weltweit Nachfrage nach türkischem Tabak geben“

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICHund GUNNAR KÖHNE

Haben Sie Interesse an einem der größten Tabakmärkte weltweit? Wenn ja, müssen Sie sich beeilen. Noch bis heute Abend nimmt das türkische Finanzministerium Gebote für die Sparte „Tabak“ des staatseigenen Unternehmens Tekel an. Dann wird die Bieterliste geschlossen. Obwohl viele Experten behaupten, Tekel werde aufgrund der leeren türkischen Staatskassen und des Drucks, den der Internationale Währungsfonds ausübt, weit unter Wert verkauft, müssten Sie dennoch etliche Euro auf der hohen Kante haben. Rund 3 Milliarden Dollar soll Tekel erlösen – immerhin gehört der Konzern zu den zehn größten Tabakmanufakturen weltweit. Wer Tekel erwirbt, kontrolliert auf einen Schlag 60 Prozent des türkischen Marktes für Zigaretten, ein Markt, der im Gegensatz zu dem in Deutschland oder den USA immer noch wächst und beste Profite verspricht.

So ist denn auch bereits die Creme der Tabakmultis in Ankara vorstellig geworden. Zwar gibt die Privatisierungsbehörde offiziell keine Auskunft über die Kaufinteressenten, doch es ist kein Geheimnis, dass die weltweit größten Tabakkonzerne Philip Morris (Marlboro), British-American Tobacco (Pall Mall, Kent) und Japan Tobacco International (Camel) allesamt scharf auf den türkischen Markt sind.

Am weitesten gekommen ist bislang Philip Morris. Mit gut 20 Prozent Marktanteil gehören Marlboro und Co zu den am häufigsten verqualmten ausländischen Glimmstengeln – eine gute Ausgangsposition für Philip Morris International aus Lausanne. Anders sieht es bei dem zweitgrößten Tabakmulti BAT aus. Der Konzern ist erst vor gut einem Jahr in der Türkei eingestiegen. In Izmir hat das british-amerikanische Duo eine hypermoderne Fabrik aufgebaut. Statt mühsam den eigenen Marktanteil auszubauen, könnte sich BAT mit der Übernahme von Tekel auf einen Schlag ganz an die Spitze katapultieren.

Die türkische Regierung will den Deal unbedingt noch in diesem Haushaltsjahr unter Dach und Fach haben, um die IWF-Vorgaben zum Schuldenabbau zu erfüllen und so weiter kreditwürdig zu bleiben. Was zunächst wie eine schnöde Finanztransaktion zur Haushaltssanierung aussieht, wird tatsächlich tief greifende Konsequenzen für 35.000 Beschäftigte von Tekel, 100.000 türkische Tabakbauern und Raucher weltweit haben.

Die Angestellten und Arbeiter bei Tekel fürchten nicht zu Unrecht, dass sie nach einem Verkauf in Kürze auf der Straße stehen werden. Die Zigarettenfabriken von Tekel sind durchweg antiquiert und marode. Gegen die ausländische Konkurrenz haben sie keine Chance. Nach einem Verkauf werden die neuen Besitzer kaum mit den vorhandenen Fabriken weitermachen. Die bauen stattdessen lieber neue, moderne Anlagen wie BAT in Izmir. In der 2002 fertig gestellten Fabrik von BAT produzieren ganze 140 Angestellte 25 Milliarden Zigaretten jährlich. Damit ist die Anlage aber nur zur Hälfte ausgelastet. Binnen kurzem könnten nur wenig mehr Leute auch die doppelte Menge herstellen.

Schlechte Zeiten für die Tekel-Angestellten. Doch die wollen nicht kampflos aufgeben. In Adiyaman im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei haben die Arbeiter ihre Fabrik verbarrikadiert und lassen keine Kaufinteressenten hinein. „Die ausländischen Firmen werden sich über unseren Mut noch wundern“, sagte ein Vertreter der zuständigen Gewerkschaft. „Die kommen nur über unsere Leichen hierher.“ Tatsächlich bestätigte der Chef der Privatisierungsbehörde, Metin Kilici, dass Fabrikbesichtigungen mit Interessenten zu normalen Arbeitszeiten kaum möglich sind. „Wir zeigen den Leuten die Fabriken an Feiertagen oder manchmal auch nachts.“

Noch düsterer sieht es für die Tabakbauern aus. In der Familie Isikbulanoglu wird seit Generationen Tabak angebaut. Auf den kargen Böden rund um das Dorf Esentepe im Südosten des Landes wächst auch gar nichts anderes als Tabak. Doch wo früher rund um das Dorf grüne Tabakpflanzen wogten, sind jetzt nur ein paar Parzellen bebaut. „Es lohnt sich nicht mehr“, meint Osman Isikbulanoglu, „wir können unseren Tabak kaum mehr verkaufen.“ Auf Druck des IWF, der auf Abbau von Subventionen besteht, nimmt der Staat jedem Tabakbauern nur noch maximal 200 Kilo ab. Dafür, rechnet Osman Bey vor, hat er im letzten Jahr 135 Millionen türkische Lira, umgerechnet 80 Euro bekommen. Private Aufkäufer haben sich gar nicht mehr blicken lassen. Wie soll die Familie von 80 Euro leben? „Meine Söhne“, erzählt Osman, „sind längst von hier fort.“ Sie arbeiten als Haselnusspflücker am Schwarzen Meer, bei der Aprikosenernte in Kayseri oder in den Baumwollfeldern am Mittelmeer.“

In der Türkei wird Tabak traditionell im kurdischen Südosten und an der Ägäisküste angebaut. Auf dem Weltmarkt firmiert dieser Tabak als Oriental Blend, der Orienttabak, den bis zum Zweiten Weltkrieg auch in Europa alle rauchten. Mit den GIs und Lucky Strike begann dann nach dem Krieg der weltweite Siegeszug des American Blend. Heute drehen alle großen Tabakmultis ihre Produkte zu 80 Prozent mit American Blend. Der Rohstoff kommt längst überwiegend nicht mehr aus Virginia, sondern aus den Billiglohngebieten in Südamerika und Afrika. In der Türkei mischen die Multis noch einen kleinen Anteil Oriental Blend in ihre Produkte, aber das wird den türkischen Tabak nicht am Leben erhalten. Der nicht so hochwertige Tabak aus dem Südosten sei praktisch bereits jetzt erledigt, sagen Vertreter der großen Konzerne ganz offen. Eine kleine Chance habe nur der Ägäistabak.

Das sieht Metin Kilici, Chef der Privatisierungsbehörde, die Tekel jetzt unter den Hammer bringt, anders. „Wir werden immer einen Markt für unseren Tabak finden“, behauptet er. „Es wird auch nach einem Verkauf weltweit Nachfrage nach türkischem Tabak geben.“ Die Erfahrung mit Philip Morris in der Türkei spricht gegen diese Annahme, und auch die Regierung geht intern durchaus nicht davon aus, dass der türkische Tabak sich zukünftig aus eigener Kraft auf dem Weltmarkt halten kann. Deshalb muss sich der Tekel-Käufer verpflichten, wenigstens noch drei Jahre die bestehenden Tekel-Marken anzubieten. Da man kaum davon ausgehen kann, dass Philip Morris zukünftig neben Marlboro und Parliament die türkischen Samsun-Zigaretten weltweit vermarkten wird, läuft es wohl darauf hinaus, dass in einigen Jahren nur noch Marlboro, Pall Mall oder Camel zu haben ist.

Das ist dann wohl das Ende des Orienttabaks.

„Die ausländischen Firmen kommen nur über unsere Leichen in die Fabrik“

Damit kommt ein Prozess zu seinem Abschluss, der Mitte der 80er-Jahre begann. Damals wurden in großem Stil zunächst Marlboro in die Türkei geschmuggelt, weil wegen des Tabakmonopols von Tekel der Import ausländischer Zigaretten verboten war. In Verhandlungen mit Staatspräsident Özal stimmte Philip Morris einem Joint Venture mit dem zweitgrößten türkischen Privatkonzern Sabanci zu, dessen Boss ein enger Freund des Präsidenten war. Kurz darauf wurde das Tabakgesetz geändert.

Für Philip Morris ein Geschenk, das der Konzern zu nutzen wusste. Während in den USA Rauchen immer verpönter wurde und die Konzerne mit Schadensersatzklagen unter Druck gerieten, konnten sie in der Türkei hohe Zuwachsraten erzielen. Mit Dumpingpreisen, geschickter Werbung und dem Flair der großen weiten Welt, erreichte der Konzern mit Marlboro vor allem junge Leute und Frauen. In zehn Jahren stieg die Zahl der Raucher um 52 Prozent, die zweithöchste Steigerungsrate weltweit. Erst Mitte der 90er-Jahre, als die gesundheitlichen Folgekosten erkennbar wurden, versuchte die Regierung zu bremsen und verbot sämtliche Tabakwerbung. Doch noch hat in der Türkei ein ähnlicher Bewusstseinswandel wie in den USA oder Europa nicht eingesetzt. Rauchen, vor allem ausländische Zigaretten, gilt gerade unter Jugendlichen nach wie vor als schick. Noch wächst die türkische Bevölkerung jedes Jahr um knapp 2 Prozent, die Hälfte ist nicht älter als 25 Jahre.

Doch selbst wenn der Zigarettenkonsum in der Türkei einmal zurückgehen sollte, sind die 3 Milliarden Dollar für Tekel gut angelegtes Geld. Die höchsten Zuwachsraten bei Rauchern erzielen die Multis bereits jetzt in Asien. Die Türkei ist auch ein strategisches Investment, um von hier aus den wachsenden Markt in Zentralasien zu bedienen. Es lohnt sich also, mitzubieten.

Auf der Strecke bleiben werden die allermeisten kleinen Tabakbauern. In Esentepe haben bereits etliche Familien das Dorf verlassen und sich in Richtung der großen Städte im Westen auf den Weg gemacht. Da sie im türkischen Armenhaus entlang der syrischen und irakischen Grenze keine Chance haben, werden sie in absehbarer Zeit die Vorstädte Istanbuls oder Izmirs bevölkern.

Der Fernsehsender Arte zeigt heute Abend um 20.15 Uhr eine Reportage von Gunnar Köhne zum selben Thema.