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Archiv-Artikel

Micki Schmiergeld muss gehen

von KENO VERSECK

Rumänische Regierungsbeamte haben noch jede Menge zu tun, um ihr Land zum angepeilten Termin im Jahr 2007 EU-aufnahmebereit zu machen. Wenn es jedoch um ihr Privatleben geht, so sind viele von ihnen mit den EU-Regeln bereits aufs Beste vertraut.

Dies gilt auch für die rumänische Exministerin für europäische Integration, Hildegard Puwak, 53, Tochter von Ceaușescus letztem Botschafter in der DDR. Im Zuge einer inzwischen seit zwei Monaten andauernden Affäre um EU-Gelder wurde sie am Montag aus ihrem Amt entlassen. Grund: Mehrere Firmen, deren Inhaber ihr Mann Iosif und ihr Sohn Mihai sind, bekamen aus dem Fonds des EU-Berufsbildungsprogramms „Leonardo da Vinci“ insgesamt 150.000 Euro. Ein Teil der Projektgelder wurde 2001 bewilligt, zu einem Zeitpunkt, zu dem Hildegard Puwak schon Ministerin für europäische Integration war. In Rumänien gilt das als Interessenkonflikt.

Zudem gab es „Unregelmäßigkeiten“ bei der Projektabwicklung, wie Ermittler der rumänischen Regierung es nennen. Statt zur Weiterbildung soll Familie Puwak auf Kosten der EU unter anderem Parteifreunde und Studienkollegen auf erholsame Deutschlandreisen geschickt haben. Die deutsche Firma einer Puwak-Cousine fungierte dabei formal als Anbieter der angeblichen Weiterbildungskurse.

Hildegard Puwak, die bei Rumäniens regierenden Sozialdemokraten schon seit einem Jahrzehnt für EU-Belange zuständig ist, wollte nach Bekanntwerden der Affäre im August keinen Interessenkonflikt erkennen und kommentiert diese seither nicht mehr. Weil „Madame Integration“ aber seit Wochen in der Schusslinie der rumänischen Öffentlichkeit steht und Rumäniens Image in Brüssel schadet, feuerte Rumäniens Ministerpräsident Adrian Nastase sie schließlich doch – und mit ihr gleich auch den Generalsekretär der Regierung, Serban Mihailescu, Spitzname: „Micki Schmiergeld“, der ebenfalls in eine Betrugsaffäre mit EU-Geldern verstrickt sein soll.

Solche Affären sind in den EU-Beitrittsländern kein Einzelfall. Das Projekt Osterweiterung der Europäischen Union birgt ein ständig wachsendes Potenzial für Mauscheleien und Betrug. Um die osteuropäischen Kandidaten auf den Beitritt vorzubereiteten, unterstützt die EU sie derzeit jährlich mit etwa 2,5 Milliarden Euro. Daneben kommen die 12 Länder in den Genuss immer größerer Zollfreiheit und Quotenerhöhungen von Warenmengen beim Export in die Altmitgliedsländer. Viele Möglichkeiten, die sich da für unterbezahlte Beamte und frisch gebackene Kapitalisten in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern bieten.

So sieht es Herbert Bösch, 49, sozialdemokratischer Abgeordneter im Europaparlament, dort zuständig für Haushaltskontrolle und Betrugsbekämpfung. „Die Seriosität des Problems ist von Seiten der Kommission bisher verkannt worden“, kritisiert Bösch, „dabei befürchte ich, dass das dicke Ende erst noch auf uns zukommen wird.“

Der EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen, 59, hält dagegen: „Es gibt kaum Programme der EU, die so scharf kontrolliert werden wie die Milliardenprogramme der Vorbeitrittshilfe.“ Die abwiegelnde Haltung auf EU-Führungsebene verwundert nicht. Die EU-Kommission hat – Beispiel: der Fall der Statistikbehörde Eurostat – genug mit eigenen Betrugsaffären zu tun. Außerdem will sie sich das große Ereignis Osterweiterung nicht durch kleinkrämerisches Nörgeln über Verschwendung und Veruntreuung von Steuergeldern der EU-Bürger vermiesen lassen.

Doch das Problem besteht, und es ist akut, darin sind sich Experten einig. Allein die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf untersucht gegenwärtig mehr als 150 Fälle von Betrug oder Unregelmäßigkeiten bei EU-Vorbeitrittshilfen. Bei 70 davon geht es um Hilfsgelder der EU für Kandidatenländer, bei weiteren 29 um mutmaßliche Zollvergehen. Dazu kommen eine Vielzahl von Fällen, an denen Ermittlungsbehörden in den Kandidatenländern selbst arbeiten.

Nach der Erweiterung im Maifließt noch mehr Geld

Für Olaf ist die Betrugsbekämpfung in den Kandidatenländern inzwischen eine ihrer Prioritäten. „Jetzt fließt ja noch nicht so viel Geld wie nach der Erweiterung“, sagt Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner, 58. „Deshalb müssen wir jetzt Strukturen aufbauen, die die neuen Mitgliedsländer später in die Lage versetzen, mit der immer größer werdenden Menge Geld umzugehen.“

Dabei lassen sich reine Betrugsfälle vergleichsweise leicht ermitteln. Etwa, wenn ein Antragsteller für ein Projekt Geld erhält und dies dann zweckentfremdet. Oder wenn ein Unternehmer im Rahmen der zollfreien Quotenregelungen für die Kandidatenländer Waren in EU-Länder exportiert, die gar nicht aus dem betreffenden Land stammen, sondern nach einem zuvor erfolgten Import aus einem Drittland als einheimisches Produkt deklariert wurden.

Viel schwieriger gestaltet sich die Betrugsbekämpfung in dem Komplex, der im Brüsseler Bürokratisch „Absorption von EU-Fonds“ heißt. Die EU legt zwar die Rahmensummen der Vorbeitrittshilfen für die einzelnen Länder fest und verteilt sie auf die verschiedenen Fonds wie Phare, Ispa und Sapard. Doch es sind neu geschaffene Verwaltungsgremien in den Kandidatenländern selbst, die am Ende die Projektgelder vergeben.

Dabei kommt es vielfach zu „Unregelmäßigkeiten“, wie Olaf-Beamte es nennen, wenn rechtlich keine Handhabe besteht, von Betrug zu sprechen. Etwa: unübersichtliche Vergaberegelungen, unzureichend zugängliche Informationen, die zu Monopolwissen führen, falsche oder nicht stattfindende Ausschreibungen.

Beispiel Polen: Das Land hatte aus dem Phare-Fonds Unterstützung in Millionenhöhe bekommen, um eine Verwaltungsstruktur namens Iacs (Integrated Administration and Control System) aufzubauen, mit dem die künftige Subventionsvergabe an polnische Bauern überwacht werden soll. Beim Aufbau des Iacs entdeckten Brüsseler Beamte „schwere Unregelmäßigkeiten“. So hatte der Computerkonzern Hewlett Packard unter „ungeklärten Umständen“, wie es offiziell hieß, einen Auftrag in Höhe von 67 Millionen Euro zur Installation von Datenverarbeitungssystemen für das Iacs bekommen. Im Frühjahr letzten Jahres verfügte die EU eine Rückzahlung von Projektgeldern in Höhe von 2,8 Millionen Euro.

Franz-Hermann Brüner ist vorsichtig bei Kommentaren zu solchen Fällen. „Man muss da immer sehr aufpassen: Ist es alles Betrug, oder ist es nur ein Verwaltungsproblem. An den administrativen Strukturen in den Kandidatenländern muss jedenfalls viel verbessert werden.“

Tatsächlich sind die Grenzen zwischen Unregelmäßigkeiten und Betrug manchmal fließend. Oder ein Betrug ist schlicht nicht nachzuweisen. So wie beim „Fall Toth“, einer der bisher prominentesten Affären im Zusammenhang mit EU-Vorbeitrittshilfen. Der Fall ist offiziell abgeschlossen, doch manche Ermittler seufzen noch heute diskret, wenn sie den Namen des ehemaligen slowakischen Regierungsbeamten hören. „Es sind viele Fragezeichen geblieben“, sagt ein Ermittler im Fall Toth, der anonym bleiben möchte.

Im Frühjahr 2001 erhielten Olaf-Mitarbeiter einen Hinweis, dass in der Slowakei bei der Vergabe von Phare-Geldern gemauschelt wurde: Roland Toth, Chefkoordinator der Regierung für den Phare-Fonds, soll Firmen, an denen er beteiligt ist oder zu deren Teilhabern er gute Beziehungen hat, Phare-Projektgelder zugeschanzt haben.

Die Slowakei ist am wenigsten auf die Geldverteilung vorbereitet

Während die Ermittlungen anlaufen, tritt Toth zurück, wenig später auch sein direkter Vorgesetzter, der stellvertretende Regierungschef Pavol Hamzik, der von der Affäre gewusst haben soll. Die EU friert einen Teil der Phare-Millionen für die Slowakei ein. Die Untersuchung zieht sich hin. Mal bestätigen slowakische Regierungspolitiker die Vorwürfe, mal bestreiten sie sie. Slowakische und EU-Ermittler quälen sich durch Berge von Quittungen und Akten. Ende September letzten Jahres der Schlussstrich: Die Vorwürfe können nicht bestätigt werden, die EU gibt die eingefrorenen Gelder wieder frei. „Der Mann hat von seinem Recht Gebrauch gemacht, uns die Herkunft seines Vermögens nicht zu offenbaren“, sagt der Ermittler gewollt lapidar.

Für die Slowakei hatte der Fall dennoch ein indirektes Nachspiel: Mitte Juli kritisierte die EU-Kommission das Fünf-Millionen-Einwohner-Land dafür, dass es unter allen Ländern, die im Mai nächsten Jahres in die EU aufgenommen werden, am wenigsten auf die Verteilung von EU-Geldern vorbereitet sei.

Ob und was für ein Nachspiel die Affäre um die rumänische Exministerin für europäische Integration haben wird, ist derzeit noch unklar. Rumänien ist in der Vergangenheit, wie auch Polen und die Slowakei, in Brüssel mit Negativbeispielen aufgefallen. So wurde letztes Jahr eine Beamtin aus dem rumänischen Landwirtschaftsministerium wegen schweren Korruptionsverdachts verhaftet. Ausgerechnet sie war verantwortlich gewesen für die Betrugsbekämpfung beim Sapard-Fonds, mit dem die EU die Umstrukturierung der Landwirtschaft in den Kandidatenländern unterstützt.

Weil sich die Fälle häuften, gründeten Olaf-Beamte Ende letzten Jahres zusammen mit rumänischen Ermittlern eine Art nationale Schwesterbehörde des Brüsseler Amtes für Betrugsbekämpfung. Derzeit unternehme Rumänien „große Anstrengungen“ um „aus dem Schlamassel zu kommen“, so Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner. Die rumänische Regierung selbst verkündet großspurig, dass sie es inzwischen ernst meine mit dem Kampf gegen Betrug und Korruption. Im Gegensatz zu früheren Programmen und Versprechen könne man diesmal „konkrete Ergebnisse vorweisen“, meint etwa der Chef der Kontrollabteilung der Regierung, Victor Ponta. „Rumänien wird einer der weißen Flecke auf der Landkarte des Betrugs sein“, verspricht der ehrgeizige 31-jährige Jurist.

Der EU-Parlamentarier Herbert Bösch ist skeptisch. Und er mahnt auch vor zu viel Selbstgerechtigkeit aus Brüssel. „Wir sind ja selbst ein bisschen ein schlechtes Beispiel. Wenn es um Interessenskonflikte geht, dann ist die EU nicht immer die vorbildlichste Adresse.“