: Erinnerungen eines Liebhabers
Die Kunsthalle Emden zeigt zum ersten Mal in Deutschland das Spätwerk von Edvard Munch: nordisch Expressives zu den Themen Tod, Liebe und Angst aus gemäßigter Alterssicht. Was fehlt? „Der Schrei“ – das Bild wurde kürzlich in Oslo geklaut
Sonst ist die Fassade der Kunsthalle Emden mit ostfriesischem Klinker verkleidet: rot. Jetzt steht davor die Fassade einer norwegischen Villa: gelb. Für 45.000 Euro gesponsert vom norwegischen Unternehmen Statoil – als eine Art von Ausgleichsmaßnahme für ihre umstrittene Eurogaspipeline, für die das Wattenmeer großflächig umgepflügt werden musste. „Man soll sich eingeladen fühlen bei Edvard Munch“, begründet Nils Ohlsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kunsthalle Emden, die kulissenhafte Nachbildung von Munchs letztem Wohnort. Munch verabscheute Gäste.
Trotzdem: Mit „Edvard Munch – Bilder aus Norwegen“ hat die Kunsthalle Emden einen Coup gelandet. Munch (1863 - 1944) ist neben Vincent van Gogh und Paul Gauguin der dritte Vater der expressiven Malerei, aber weniger bekannt. Abgesehen von seinem Bild „Der Schrei“. Das ist kürzlich in Oslo geklaut worden. Na und? Für Emden brachte der Diebstahl einen ungewollten, wenn auch gewaltigen PR-Effekt. Und der Künstler hat das Bild sowieso mehrmals nachgemalt. In Emden ist es aber nicht zu sehen.
In der Trias der Expressionisten-Götter hielt sich Munch an die Spielregeln. Vincent van Gogh soff, landete in einer „Nervenheilanstalt“ und brachte sich um. Gauguin soff, schlidderte in eine Nervenkrise und verschwand auf den Inseln der Karibik.
Alkohol, Sex, ständiges Unbehaustsein und das Gefühl, als Maler nicht anerkannt zu sein, hatten Edvard Munch ruiniert. Er soff, landete in einer „Nervenheilanstalt“ – und änderte sein Leben radikal. 1909 entschloss sich Munch, nicht mehr zwischen Deutschland und Frankreich zu pendeln, sondern an die Eisgrenze nach Norwegen zu gehen. Kein Alkohol, kein Sex und ab 1916 ein fester Wohnsitz auf dem Gut Ekely, einer ehemaligen Baumschule.
Aus der Erinnerung nähert sich Munch seinen alten Themen: Tod, Liebe, Leidenschaft, Angst. Aber er lässt sich von ihnen nicht mehr zerstören: „Ich werde nun auf das Leben blicken – im wehmütig träumenden Licht der Abendsonne, im Schlafrock in einem geschützten Garten spazierend.“
Kurz zur Erinnerung: 1848 schrieb Karl Marx sein kommunistisches Manifest. 1845 verfasste Friedrich Engels sein Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Während in der europäischen Literatur die dramatische Wirklichkeit des Industriezeitalters heftig diskutiert wurde, rutschte die Malerei wie ein Öltropfen auf dem Wasser, unberührt von der alltäglichen Realität. Allein Edvard Munch malte deutlich figürlich und wagte sich an die psychische Befindlichkeit seiner Zeitgenossen heran.
1863 geboren, lebte der Norweger in einer behüteten Familie. Aber seine Mutter starb früh und die Lieblingsschwester Sophie überlebte, 15-jährig, ihre Tuberkulose nicht. Beides Stigmata, die Munch in Bildern zu formulieren versuchte. „Das kranke Kind“ in der ersten Fassung von 1886 wirkte dramatisch: Die Bildoberfläche wütend zerkratzt und mit übereinander liegenden Farbschichten malträtiert. Die zweite Version von 1926/27 ist in der Kunsthalle Emden zu sehen. Sie wirkt fast liebevoll, beruhigend, tröstend.
Ähnlich furios geht Munch mit dem Bild „Eifersucht“ um. Während die Erstfassung die Situation zwischen zwei Männern und einer Frau quälend beschreibt, konzentriert sich die in Emden gezeigte Version auf den leidenden Mann. Der Anlass zur Eifersucht scheint unwichtig geworden zu sein. Munch entschärft die harten Linien und kommt zur turbulent farbigen Fläche.
Während van Gogh sich dem wahnsinnigen Spiel des Lichtes aussetzte und Gauguin der Erd‘ abgewandten Idylle erlag, blieb Edvard Munch den Menschen verbunden. Die Emder Ausstellung zeigt, wie er in Ekely viele seiner Bilder nachmalte. Gerade auch die bereits verkauften. Weil Munch sie als seine Kinder betrachtete, wollte er sie um sich scharen. Sein Haus war voll gestopft mit seinen Bildern, die er 1944 nicht dem Nazi-besetzten Norwegen vermachte, sondern der Stadt Oslo. Von dort kamen jetzt 63 Gemälde nach Emden. Ein Coup für das Kunsthaus in der Provinz. Thomas Schumacher
bis 16. Januar 2005, Di 10 bis 20 Uhr, Mi-Fr 10 bis 17 Uhr, Sa/So 10 bis 18 Uhr, Infos: www.kunsthalle-emden.de