: Ein-Euro-Jobber statt Zivis
Keine Befürchtung, sondern ein Denkmodell: Wenn es keine Zivildienstleistenden mehr gibt, könnten sie von arbeitslosen Billig-Jobbern ersetzt werden. Wohlfahrtsverbände stellen aber Bedingungen
VON INES KURSCHAT
Waschen, anziehen und in den Rollstuhl gesetzt werden – so beginnt der Tag für Michael* aus dem Wohnheim Spandau. Ohne Hilfe geht das nicht, denn Michael ist schwerbehindert. Zum Glück gibt es den Zivildienstleistenden, der ihn unterstützt.
Noch. Denn die Diskussion auf Bundesebene um eine mögliche Abschaffung der Wehrpflicht schlägt auch hinter den Kulissen vieler Berliner Sozialeinrichtungen Kreise. „Der Zivildienstleistende ist ein Auslaufmodell.“ Carsten Krüger, Leiter der Wohnprojekte von „Lebenswege für Menschen mit Behinderung GmbH“ ist auf der Suche nach Alternativen, „für den Tag, an dem die Wehrpflicht fällt, und damit auch der Zivildienst“. Seine Hoffnungsträger für die Zukunft sind: die Ein-Euro-Jobber. Rund 2.640 Zivildienstplätze sind in Berlin derzeit unbesetzt.
Es gebe „sicherlich eine große Schnittmenge“ zwischen Zivildienst und Arbeitsgelegenheiten – so heißen die Ein-Euro-Jobs im Amtsjargon –, sagt Oswald Menninger vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. Dass künftig Langzeitarbeitslose die Lücken fehlender Zivis schließen, hält der Geschäftsführer grundsätzlich für machbar. Allerdings nicht um jeden Preis. Drei Bedingungen nennt Menninger: Billigjobber dürften keine regulär bezahlten Arbeitsplätze vernichten, sondern „nur zusätzlich“ arbeiten. Sie müssten ausreichend qualifiziert sein. Und: Je näher es an den Menschen geht, desto wichtiger sei die „freie Wahl“.
„Niemand darf Menschen zum Dienst am Menschen zwingen“, mahnt Menninger.
Im schlimmsten Fall könne Zwangsarbeit sogar gefährlich sein – „für beide Seiten“, warnt Barbara Schwemmer von der Berliner Caritas. Vom Arbeitsamt zum Bewerbungsgespräch verdonnerte Arbeitslose hätten in seinem Büro schon „Rotz und Wasser geheult“, berichtet Krüger – bei der Vorstellung, mit schwerstbehinderten Menschen zu tun haben zu müssen. Um solche Zusammenbrüche zu vermeiden, plädieren Sozialverbände für „ergebnisoffene“ Einstellungsgespräche, so Krüger. Im Krisenfall müsse es auch möglich sein, Arbeitnehmer an die Jobcenter zurückweisen zu können, ergänzt Caritas-Pressesprecherin Schwemmer.
Bei den Arbeitsagenturen stößt dieses Ansinnen aber eher auf wenig Gegenliebe. Es sei „natürlich wichtig“, Arbeitslose in Bereiche zu vermitteln, in denen sie „eine gewisse Kompetenz“ haben, beschwichtigt Olaf Möller, Pressesprecher des Landesarbeitsamts Berlin-Brandenburg. Die Ämter sollten ihre Kunden „wie immer von zwei Seiten“ betrachten. So werde geprüft, ob eine Person „qualifikationsmäßig“ für einen Job geeignet sei. Ferner sei zu klären, ob „die Arbeit zumutbar ist“. Keine Gnade aber gibt es beim Verdacht auf Arbeitsunwilligkeit. Man werde „das eine oder andere Mal“ auch testen, ob jemand grundsätzlich bereit sei zu arbeiten. Hoffentlich trifft der Testballon dann nicht Michael und seine Mitbewohner.
* Name geändert