silke burmester
: Krisensicher bis zuletzt

Im Jammertal der Anzeigenkrise gibt es nur einen verlässlichen Partner: den Tod.

Während Wachstums- und Wirtschaftsprognosen – je nach ermittelndem Institut – sehr unterschiedlich ausfallen und keiner wirklich weiß, ob und wann irgendetwas besser wird, ist doch eines sicher: Rund 80 Millionen Deutsche werden in den nächsten 80 Jahren dahingerafft werden. Welch eine Goldgrube für die Zeitungen, die vor allem unter dem Absatzeinbruch im Bereich der Geschäftsannoncen und der Stellengesuche ächzen.

„Der Markt ist stabil“ heißt es bei der Süddeutschen Zeitung in Bezug auf die Trauer- und Nachrufanzeigen, und auch der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag, der immerhin 16 Tageszeitungen vereint, kann keine Veränderung verzeichnen. Beim Hamburger Abendblatt hingegen lässt sich sogar ein deutlicher Zuwachs ausmachen. Ob in Passing, Hamburg oder Friedrichskoog, wer ablebt, wird in die Zeitung gesetzt, und nicht einmal die Größe der Traueranzeige wird dem Sparzwang unterjocht. Hier, da sind sich die Verlagshäuser einig, ist keine Tendenz zur kostengünstigen Kleinvariante erkennbar.

Den Leser, zumal den sehgeschwächten, mag das erfreuen, bleibt doch die Lieblingslektüre erhalten. Seiten mit Traueranzeigen, ob in regionalen oder deutschlandweiten Blättern veröffentlicht, gehören zu den meistgelesenen Seiten einer Zeitung. Fragt sich nur von wem.

Zum einen von Alten, denen die Anzeigen als Informationsquelle dienen, wer von ihren Nachbarn und Bekannten nun wieder ins Gras gebissen hat. Von Suizidalen, die magisch angezogen von allem, was mit Tod zu tun hat, aus den knappen Zeilen Erlösung herauslesen, und von jenen, die mit wohligem Schauer Anteil nehmen an dem Leid der Familie und der möglichen Tragik des Ereignisses.

Diejenigen jedoch, die froh sind, ihre todeslastige Phase hinter sich oder den Verlust eines Menschen gerade so mit Ach und Krach verkraftet zu haben, erwischt es kalt. Bei der taz etwa, wo die seltenen, aber meist gefühlvollen und von Engagement zeugenden Traueranzeigen unvermittelt irgendwo im Heft stehen, oder bei der Süddeutschen, wo die Seite mit den Familienanzeigen mitten in die schönste Feuilletonlektüre hineinrumst wie der Berg in die „Titanic“.

Den Vogel der Fiesheit schießen die Österreicher ab, die zum Text ein Foto stellen. Lachende Gesichter, fröhliche Menschen. Veronika, 26; Gerd, 62; Tom, 18. Unfall. Selbstmord. Krankheit.

Eigentümlicherweise hat diese Handhabung oberhalb der Alpen kaum Verbreitung gefunden. Immerhin sind wir ein visuelles Volk. Sicherlich ist dies nur eine Frage des Angebots. Ist es erst mal da, wird es auch angenommen werden. Ein lohnendes Geschäft ist es für die Verlagshäuser allemal, diesen Trend zu schaffen: Für die Masse an Senioren, die gerade heranreift, wird die Seite „Familienanzeigen“ in wenigen Jahren das sein, was für sie derzeit noch die „Szene“-Seite ist. Und mehr Geld lässt sich mit Fotoanzeigen auch einnehmen.