Auch die Regierung trägt Schuld am Scheitern

Neue Verhandlungen über die Zuwanderung versprechen keinen Erfolg. Liegt das wirklich nur an der Union?

Eigentlich ist der Zeitpunkt ideal. Wann sollte man über moderne Regeln für die Zuwanderung reden, wenn nicht jetzt, da täglich neue Horrorzahlen über die Zukunft des deutschen Rentensystems durch die Gazetten geistern? Selbst die Herzog-Kommission der CDU räumt inzwischen ein, dass mehr Einwanderung nach Deutschland „einen Beitrag zur Lösung der demografiebedingten Probleme leisten kann“. Trotzdem erwarten nicht einmal die kühnsten Optimisten, dass sich Regierung und Opposition am Wochenende näher kommen, wenn sie erstmals seit langer Zeit wieder über das geplante Zuwanderungsgesetz verhandeln.

Die nahe liegende Erklärung für das vorhersehbare Scheitern: Die Union ist schuld. Die Union ist schuld. Die Union ist schuld. Gebetsmühlenartig wiederholt die Regierung diesen Vorwurf, seit ihr Gesetz im Bundesrat abgelehnt wurde. Unfähig zur Einsicht in die Realität der Einwanderungsgesellschaft, blockiere die Union jede zukunftsgerichtete Reform.

Das ist zwar richtig. Gerade erst haben CDU und CSU wieder verlangt, alle Regelungen aus dem Gesetz komplett zu streichen, die das Land langfristig öffnen würden. Von einem Punktesystem, das Zuwanderung vernünftig steuern würde, will die Union nichts wissen. Nichts spricht bislang dafür, dass die Union umdenkt und weiter als bis zur nächsten Wahl vorausschaut. Auch der Leiter der neuen Arbeitsgruppe im Vermittlungsausschuss, Ministerpräsident Peter Müller (CDU), ist deshalb als Schlichter ungeeignet. Im Saarland wird 2004 gewählt. Seine früheren Erkenntnisse („Das Boot ist leer, Deutschland braucht Einwanderung“) hat Müller schon in der letzten Verhandlungsrunde verdrängt. Alles spricht dafür, dass er auch diesmal wider besseres Wissen der kurzfristigen Parteiräson gehorcht. Und die heißt beim Thema Zuwanderung: Blockade. Anders als bei den Sozialreformen gibt es keinen Zwang zum Konsens. Von einem Stillstand in der Zuwanderungspolitik sind ja – zumindest kurzfristig – nur Ausländer betroffen, also Menschen, die hierzulande sowieso nicht wählen dürfen.

Doch die Regierung macht es sich zu einfach. Einen Gutteil der verfahrenen Lage hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie wollte das Zuwanderungsgesetz kurz vor der Bundestagswahl durch den Bundesrat peitschen, obwohl sie dort keine gültige Mehrheit hatte. Der Versuch ist grandios gescheitert, und das sensible Thema wurde erst richtig zu einer machtpolitischen Frage. Still und leise zu verhandeln geht seitdem nicht mehr. Die Unionsverhandler brauchen jetzt „Erfolge“. Das wäre leichter, wenn Rot-Grün das Gesetz nicht unverändert neu eingebracht hätte. Damit fehlt vor allem den Grünen jegliche Verhandlungsmasse. Sie sind schon mit dem jetzigen Gesetz an die Grenzen dessen gegangen, was sich vor Menschenrechtsgruppen vertreten lässt. Ein Konsens ist nur möglich, wenn die Grünen diese Klientel endgültig aufgeben.

LUKAS WALLRAFF