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Archiv-Artikel

Reden in der Richardstraße

In Neukölln arbeiten Polizisten mit Moscheen zusammen. Junge Migranten, die auffällig sind, sollen eingebunden werden. Ein Beispiel, wie sich Behörden auf die Zuwanderungsgesellschaft einstellen

von PLUTONIA PLARRE

Junge Männer zumeist türkischer Herkunft haben die Neuköllner Richardstraße zu ihrem Revier erklärt. Die Gruppe ist der Polizei lange ein Dorn im Auge. „Genau vor der Moschee machen sie einen Dicken“, sagt ein Polizist. Anwohner und Moscheebesucher fühlten sich bedrängt.

Was tun? Personalien kontrollieren, Platzverweise aussprechen, das gesamte Repressionsregister ziehen? Nix da. Die Polizei wendet sich an die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), einen vom türkischen Staat gegründeten Dachverband, in dem in Berlin elf Moscheevereine organisiert sind. Ditib möge den Jugendlichen doch in dem zur Moschee gehörenden Gebäude einen Raum zur Verfügung stellen, bitten die Beamten.

Der kurze Draht zwischen Polizei und Moscheeverein ist eine Neuköllner Besonderheit. Es ist der Polizeiabschnitt 54 an der Sonnenallee, der seit einem halben Jahr den Kontakt pflegt. Die Kooperation „Polizei und Moscheevereine gemeinsam im Kiez“ ist ein Pilotprojekt zur Einbeziehung muslimischer Vereine in die Kriminalitätsbekämpfung. Alle zwei Wochen halten Ditib, Türkische Gemeinde und Polizei in der Richardstraße eine gemeinsame Sprechstunde ab, in der türkische Eltern Rat suchen können, deren Kinder in die Kriminalität abzurutschen drohen. Hier können auch Gespräche mit den Jugendlichen selbst geführt und Lösungen gesucht werden.

Ziel der Kooperation sei, ausländische Vereine als „Instanzen sozialer Kontrolle ins Boot zu ziehen“, so der Leiter des Abschnitts 54, Jens Splettstöhser. Auch die rund 150 Abschnittsbeamten waren nicht untätig. Sie haben sich in Fortbildungsveranstaltungen und bei Moscheenbesuchen mit anderen Kulturen und Religionen beschäftigt. „Wenn die Sache weiter so positiv läuft, werden wir das Projekt auf andere Stadtteile mit hohem Migrantenanteil ausdehnen“, kündigt Polizeidirektor Stefan Weiß an.

Auf einer heute in der Friedrich-Ebert-Stiftung stattfindenden Tagung wird erstmals über das Polizei-Moscheenprojekt berichtet werden. Die von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Modellprojekt Transfer interkultureller Kompetenz (TiK) organisierte Veranstaltung läuft unter dem Thema: „Interkulturelle Öffnung und Verwaltungsmodernisierung“. Experten aus dem Bundesgebiet werden sich in Fachforen auf die Suche nach Strategien und Konzepten begeben, die geeignet sind, die Verwaltung für die Anforderungen einer Zuwanderungsgesellschaft fitzumachen (siehe Kasten).

Das Neuköllner Polizeiprojekt „ist ein spannender Ansatz“, so TiK-Leiterin Tatiana Lima Curvello. TiK hatte mit einem Modellprojekt, an dem Polizisten aus Berlin, Essen und Stuttgart teilnahmen, den Anstoß für das Neuköllner Moscheenprojekt gegeben.