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Archiv-Artikel

Stabiler Wandel

Katajun Amirpur und Reinhard Witzke reisen im Zeitraffertempo durch die Geschichte des Iran. Man erfährt alle wichtigen Ereignisse und wird mit viel Hoffnung für eine demokratische Zukunft entlassen

VON BAHMAN NIRUMAND

Eine Wanderung durch hundert Jahre Geschichte eines Landes im Zeitraffertempo erlaubt keine tief gehenden Analysen. Das ist auch nicht die Absicht von Katajun Amirpur und Reinhard Witzke. Ihr Ziel ist vielmehr mit ihrem Report „Schauplatz Iran“ den Lesern einen Überblick über die Entwicklung eines Landes zu verschaffen, das immer wieder Schlagzeilen macht und seit jeher zu den wichtigsten Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gehört.

Folglich begnügen sie sich mit der Schilderung markanter Etappen, die für das Verständnis der jeweiligen Zeit, aber auch der Gegenwart ausschlaggebend sind. Das ist im Hinblick darauf, dass die Gräuelnachrichten aus Iran häufig zu Pauschalurteilen führen, eine mehr als verdienstvolle Arbeit.

Iran hat im Verlauf seiner jüngsten Geschichte zwei Revolutionen und zahlreiche Aufstände erlebt. Diese Geschichte ist von dem bislang vergeblichen Versuch gekennzeichnet, den das Volk immer wieder unternommen hat, um aus seiner nicht ganz selbst verschuldeten Unmündigkeit und Rückständigkeit auszubrechen.

Den Auftakt lieferte die konstitutionelle Revolution von 1905/1906. Sie stellte die Weichen für das ganze Jahrhundert. In der postrevolutionären Jahren kristallisierten sich jene gesellschaftlichen Kräfte heraus, die bis zum heutigen Tag in ihrem Miteinander und Gegeneinander auf das Schicksal des Landes bestimmend eingewirkt haben.

Es war kein Zufall, dass die ersten Rufe nach Freiheit und Gerechtigkeit in derselben Zeit erfolgten, in der der damalige Schah die Konzession für die Ausbeutung des Erdöls an den Briten William Konox D’Arcy vergab und damit die britische Herrschaft über Iran für die nächsten Jahrzehnte besiegelte. In den Fünfzigerjahren gelang es den USA, die Briten zu verdrängen und die Rolle einer imperialen Macht in Iran zu übernehmen. Erst die Revolution von 1979 unter der Führung von Ajatollah Chomeini setzte dieser Quasi-Fremdherrschaft ein Ende.

Zwischen den beiden Revolutionen erlebte das Land mehrere Variationen der orientalischen Despotie. Nur in der Zeit von 1951 bis 1953, als die Bewegung zur Nationalisierung der Ölindustrie unter der Führung von Mohammad Mossadeq den damaligen Schah zur Flucht zwang und die Briten aus dem Land jagte, gönnte die Geschichte dem Volk eine kurze Atempause. Mossadeq wurde schließlich jedoch durch einen CIA-Putsch gestürzt. Der Schah kehrte daraufhin ins Land zurück und baute mit Hilfe der USA eine neue Diktatur auf, die eben erst 1979 durch den Volksaufstand zusammenbrach.

Dem großen Sieg der Revolution, die eine ungeheure Euphorie im Volk auslöst hatte, folgte bald die große Niederlage. Statt der ersehnten Freiheit verkündete Chomeini „die vollständige Islamisierung der Gesellschaft“. Alle anderen Gruppen, die aktiv an der Revolution teilgenommen hatten, wurden ausgeschaltet, zehntausende politische Aktivisten hingerichtet.

Die islamistische Auffassung von Moral wurde nun mit brutaler Gewalt durchgesetzt. Davon waren in aller erster Linie die Frauen betroffen. Die Geiselnahme amerikanischer Diplomaten führte das Land in der Folgezeit in eine schier totale Isolation; der achtjährige Krieg gegen den Irak bescherte den kriegsführende Staaten fast eine Million Tote, Zerstörung und wirtschaftlichen Ruin.

Erst nach Chomeinis Tod begann sich der revolutionäre Rausch zu verflüchtigen. Die Einheit im islamischen Lager bekam Risse. Selbst in Kreisen der Geistlichkeit begann man über den islamischen Staat Bilanz zu ziehen und immer intensiver über das Verhältnis von Islam und Demokratie oder auch Islam und Modernität nachzudenken. Das Volk verlangte Öffnung und Veränderung.

Im Jahr 1997 kandidierte Mohammad Chatami für das Amt des Staatspräsidenten. Er forderte eine zivile Gesellschaft und den Dialog der Kulturen und erweckte damit nicht zuletzt bei der Jugend große Hoffnungen. Doch nach wenigen Jahren gingen auch diese Hoffnungen verloren, denn die Reformer konnten sich gegen die Übermacht der Konservativen nicht durchsetzen. Die Erfahrung dieser Jahre habe „endgültig“ den Beweis geliefert, dass „innerhalb der Verfassung eine Entwicklung in Richtung Demokratie zum Scheitern verurteilt ist“, schreiben Katajun Amirpur und Reinhard Witzke.

Aber wie kann es nun, nach dem Scheitern der Reformen weitergehen? Eine klare Antwort kann der Bericht auch nicht liefern. „Der eigentliche Reformprozess vollzieht sich nicht im Staat, sondern in der Gesellschaft“, schreiben die Autoren. „Und dieser Reformprozess ist im vollen Gange.“ Sie stellen fest: „Der Theokratie gehen nicht nur langsam die Theologen aus, dem System ist schon lange die Gesellschaft abhanden gekommen.“ Viele hätten sich nicht nur vom System abgewendet, sondern auch von der Religion.

„Empirische Untersuchungen lassen vermuten, dass es in keinem anderen islamischen Land so viel säkular und areligiös eingestellte Menschen gibt wie in Iran“, heißt es. Gleichzeitig stellen Amirpur und Witzke fest, dass die Menschen „vollkommen desillusioniert“ seien. Sie seien „so sehr damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern, dass sie kaum noch Energie für etwas anders haben“.

Fragen wir, was aus diesen Feststellungen folgt, gibt der Report die Antwort: „Möglicherweise nichts“! Die Islamische Republik habe „beachtliche Stabilität bewahrt“. Die Hoffnung, dass das Lager der Konservativen auseinander fallen könnte, sei nicht so groß. Die Konservativen seien zum Teil sogar derart pragmatisch, dass sie sogar das Programm der Reformer übernehmen könnten. Im Hintergrund dieser pragmatischen Einstellung könne es sogar zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu den USA kommen.

Es sei sogar möglich, dass die USA ebenso wie die EU sich auf einen außenpolitischen Deal mit den Konservativen einlassen: Wenn Teheran sein Atomprogramm aussetzt und seine Feindschaft gegenüber Israel aufgibt, würde der Westen bei inneriranischen Repressionen wegschauen.

Diesen düsteren Aussichten zum Trotz beenden die Autoren ihren Report nicht ohne Hoffnung. „Inzwischen gibt es in der iranischen Gesellschaft ein Konsens darüber, dass es keine Alternative zu einer demokratischen Staatsform gibt“, schreiben sie zu Recht. „Dies war ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Aber vielleicht muss jede Gesellschaft diesen Weg selber gehen – statt von einer Weltmacht befreit zu werden, die dann in kürzester Zeit jeden Kredit verspielt. Das ist der Grund, warum es immer noch Hoffnung gibt auf eine demokratische Islamische Republik Iran.“

Katajun Amirpur und Reinhard Witzke: „Schauplatz Iran. Ein Report“. Herder Spektrum, Freiburg 2004. 160 Seiten, 8,90 Euro