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Archiv-Artikel

Herrenhäuser und Sklavenhütten

Wohnen wie einst die Kaffeebarone Brasiliens. Eine Reise zu den historischen Kaffeefazendas im Paraíba-Tal. Dort waren im 19. Jahrhundert Kaffee und Reichtum ein untrennbares Paar und Sklaven die Garanten für Wohlstand und Wohlleben

Bis 1831 waren 2,8 Millionen Afrikaner nach Brasilien verschleppt worden

von DIRK BRUNS

„Manoel de Aguiar Vallim besaß bei seinem Tod im Jahre 1878 die unvorstellbare Summe von 2.847.169 Dollar, Gold, Silber, Juwelen und Schuldscheine. Er war der Besitzer der Fazendas Resgate, Bocaina, Três Barras und Independência und des Theaters Santa Cecília in der brasilianischen Stadt Bananal. Vor allem gehörten ihm fast 400 Sklaven“, erzählt der Reiseführer, der eine kleine Gruppe von interessierten Touristen durch das sorgfältig restaurierte Casa Grande geleitet. In diesem Herrenhaus kann man den Lebensstil eines der größten Kaffeeproduzenten der Region bewundern. Im 19. Jahrhundert waren Kaffee und Reichtum ein untrennbares Paar.

Von einem kleinen Park mit alten Bäumen umgeben repräsentiert das unter Denkmalschutz stehende Herrenhaus Resgate das Ideal des Kaiserreichs zwischen Aristokratie und Fortschritt, Modernität und Sklavenhalterei. Es verkörpert wie ein Symbol eine vergangene Zeit, in der die Region des Bananal die wichtigste Kaffeeregion des Bundesstaates São Paulo war. Inspiriert von portugiesischen Herrenhäusern ist die neoklassizistische Architektur des Gebäudes zugleich Ausdruck des starken französischen Einflusses, der die Architektur der Stadtvillen und des Hofs des Kaiserreichs prägte. Im Erdgeschoss waren die Behausungen der 49 im Haus tätigen Sklaven. Allein zwölf Köchinnen standen den Herrschaften zur Verfügung. Ausgestattet ist das Herrenhaus mit klassizistisch angehauchten Möbeln, importierten Luxusgütern aus Europa und mit den Originalgemälden des spanischen Malers Villaronga. Der malte beschaulich regionale Pflanzen wie Zuckerrohr, Kaffee und Mandioca, drohte aber auch mit den sieben Todsünden. An zentraler Stelle im Speisesaal gibt ein Wandgemälde die Perpektiven der Zeit wieder: Der Blick aus dem Fenster fällt auf einen Hügel mit Kaffeebüschen, davor steht eine Kiste mit Geldscheinen und über dem Ganzen hängt ein Käfig, in dem ein singender Vogel eingesperrt ist. Vor ihm flattern zwei freie Schmetterlinge.

„Vater Gastwirt, Sohn Baron und Enkel Bettler“, so stellt ein Sprichwort die Situation der Kaffeefazendeiros dar. Der Vater unseres Barons, José, begann 1820 Kaffee anzubauen und wurde vermögend. Außer dem Erbe machte die damalige Heiratspolitik Manoel reich. In der Kaffeeoligarchie blieb man „unter sich“. Geheiratet wurde, wer „weiß“ war, aus einer angesehenen Familie stammte und eine hohe Mitgift einbringen konnte. Gegenüber diesem Heiratshandel, bei dem die Braut oft erst 17 war, wurde in der romantischen Literatur der Zeit die „hygienische Heirat“, die Liebesheirat, gepriesen. Zur Zwangsheirat gehörten fast institutionalisiert sexuelle Kontakte der Fazendeiros mit schwarzen Sklavinnen. Aus diesen Beziehungen entstanden etliche Kinder. So schrieb José Ramos Nogueiro, ein Verwandter Vallims, in seinem Testament, dass nach seinem Tod drei seiner Sklavinnen, mit denen er zehn Kinder hatte, freizulassen seien.

Viele der Kaffeefazendeiros, die zur Elite Brasiliens gehörten, wurden von Kaiser Dom Pedro II. (1840–1889) zu Baronen geadelt. Warum widerfuhr Manoel Aguiar de Vallim, dem Besitzer Resgates und einem der reichsten Männer Brasiliens, diese Ehre nicht? Die Antwort gibt der kundige Führer: „Bis 1831 waren circa 2,8 Millionen Afrikaner nach Brasilien verschleppt worden. Dann übten die Engländer Druck auf Brasilien aus, den Sklavenhandel abzuschaffen, und erkannten dafür die Unabhängigkeit des Kaiserreichs Brasilien von Portugal 1822 an.“ Ein Deal: Denn für den Absatz ihrer Industrieprodukte wollten die Engländer die Kaufkraft von Millionen befreiten Sklaven. Obwohl offiziell verboten, wurden bis 1855 noch einmal heimlich 486.000 Sklaven eingeschmuggelt, vor allem als Arbeitskräfte für die Kaffeeplantagen. Nachdem die Briten ab 1845 die Sklavenschiffe auch in brasilianischen Gewässern aufbrachten, gab die Regierung in Rio 1850 nach. Sklavenimport wurde nun auch verfolgt. „Als man 1853 auf der Fazenda Vallims ‚Afrikaner‘ fand“, erzählt der Führer, „wurde Vallim angeklagt. Auch wenn diese Anklage niedergeschlagen wurde, blieb ‚etwas hängen‘ und die Nichternennung zum Baron war die exemplarische Strafe für den illegalen Sklavenhandel.“

Nur wenige Kilometer von Resgate entfernt liegt inmitten einer grünen hügeligen Landschaft die Fazenda Boa Vista, die durch Luiz José de Alameida zur großen Kaffeefazenda wurde und durch Heirat in den Besitz von Vallim kam. Heute ist sie eine Pousada mit 18 Zimmern. Die Architektur ist typisch für das frühe 19. Jahrhundert: Das Herrenhaus erhebt sich auf einem Hügel und hat vor sich eine freie Fläche. Der Fazendeiro konnte so vom Haus aus die Arbeit kontrollieren und zugleich auf die Kaffeefelder blicken. Dieser schöne Ausblick hat sich in den letzten 150 Jahren radikal verändert. „Alles dies war Kaffee“, sagt der Geschäftsführer, der die Geschichte von Boa Vista erzählt, und weist auf die grünen, erodierten Hügel, die vor uns liegen.

Mit der Terra roxa, der mineralstoffreichen, roten Vulkanerde, bot das Paraíba-Tal ideale Bodenverhältnisse für die Coffea arabica, jener aus Äthiopien stammenden Kaffeepflanze, die erst 1727 aus Java nach Brasilien geschmuggelt worden war. Die Höhenlage und ein Klima um durchschnittlich 20 Grad ließen die Kaffeekirschen nur langsam reifen. Aber die Kaffee-Monokultur laugte den Boden intensiv aus, die Ernten waren schon nach 20 Jahren weniger ertragreich, so dass erneut gerodet werden musste, um Platz für neue Setzlinge zu schaffen. 30.000 Quadratkilometer Primärwald wurden im 19. Jahrhundert dem Kaffeeanbau geopfert.

Die Familien der Kaffeebarone sind Gegenstand der Telenovelas

Ab 1870 ging der Kaffeezyklus im Bananal, der erst 1810 begonnen hatte, langsam seinem Ende entgegen, und der Kaffeeanbau wanderte in andere Gegenden ab. Heute kommt der brasilianische Kaffee – circa 20 Prozent der Weltproduktion – aus Minas Gerais, Paraná, São Paulo und Espírito Santo. An die Stelle des Kaffees trat im Bananal die Viehwirtschaft – und etwas Tourismus zum Beispiel auf den Fazendas. Boa Vista ist auch aus den Telenovelas „Dona Beja“ und „O Coronel e o Lobisomen“ bekannt. Immer wieder sind die Familien der Kaffeebarone mit ihren Liebesdramen Gegenstand der Telenovelas und der Fantasie des Fernsehpublikums.

Bananal hat im Vergleich zu den betriebsamen Großstädten Brasiliens etwas beschaulich Museales. Vor allem zu den Geschäftszeiten kommen die Menschen aus dem Umland in die Stadt. In deren Hauptstraße duftet es nach Kaffee, denn es gibt dort immer noch einige Kaffeeröstereien. Das „Café Valiante“ beispielsweise ist Lagerraum, Produktionsstätte und Verkaufsraum in einem. Dominiert wird dieser von der großen Röstmaschine.

Wenn der Inhaber Paulo Valiante seinen Kaffee aus Minas in 60-Kilo-Säcken erhält, dann haben die blassgrünen Bohnen noch keinen typischen Kaffeegeschmack oder -geruch. Paulo füllt die Bohnen in eine große Trommel und unter Hitzezufuhr beginnt der etwa 18-minütige Röstvorgang. „Die Wärmezufuhr soll so gleichmäßig, niedrig und kurz wie möglich sein. Am Knacken der Bohnen, wenn ihre Wände reißen, an der Veränderung der Farbe zum satten Kaffeebraun und am Geruch erkenne ich, wann ich die Maschine abstellen muss.“ Ein stimulierender Geruch von süßlicher Schärfe beherrscht dann den Raum. Die Bohnen sind durch den Wasserverlust um circa 16 Prozent leichter geworden, während sich das Volumen durch die Hitze fast um das Doppelte aufgebläht und die Farbe sich durch die Karamellisierung der zuckerhaltigen Zellen verändert hat. Eine Kaffeeverkostung im Café Valiante ist nun dringend angesagt.