NEUES ASYLGESETZ IN ÖSTERREICH: HUMANITÄRE TRADITION IST GESCHICHTE : Menschlichkeit wird Kostenfrage
Als Zögling der Caritas wurde Ernst Strasser (ÖVP) einst von Jörg Haider verspottet. Darauf beruft sich Strasser gern, wenn er heute als Menschenrechtsverächter attackiert wird. Vorwürfe von links und rechts bewiesen, dass er ein Mann der Mitte sei. Doch der Mann mit der sanften Stimme hat sich zum zynischen Hardliner entwickelt, der sich zum Erfüllungsgehilfen der FPÖ macht. Mit der Caritas, die gelebte Nächstenliebe einfordert, verbindet ihn inzwischen eine offene Feindschaft.
Österreich hat ein Flüchtlingsproblem, keine Frage. Die lange EU-Außengrenze lässt sich schwer sichern. Verfahren und Unterbringung der Asylbewerber sind teuer. Arbeiten dürfen sie nicht, ein Taschengeld von 40 Euro monatlich ist knapp bemessen. Das treibt viele den Drogendealern in die Arme, oder sie verdingen sich als Schwarzarbeiter. Strasser setzt daher – durchaus im Einklang mit seinen europäischen Kollegen – auf Abschreckung. Es soll sich herumsprechen, dass Asylwerber in Österreich im Winter auf die Straße gesetzt und im Schnellverfahren abgeschoben werden. Dass ein Großteil der Verschärfungen im neuen Asylgesetz der Verfassung oder der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht – was soll’s? Dass das Gesetz voraussichtlich vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben wird – egal. Denn bis es so weit ist, erspart man sich viel Geld, und die abschreckende Wirkung setzt auch schon ein. Allerdings dürfte das den menschenverachtenden Schleusern wenig ausmachen. Denn die Flüchtlinge, die in Containern zusammengepfercht an der Grenze ausgesetzt werden, wissen ohnehin im seltensten Fall, wo sie sich befinden.
1956, als Österreich noch viel ärmer war, öffnete das Land seine Grenzen für tausende Flüchtlinge aus Ungarn, 1968, als die sowjetischen Panzer den Prager Frühling platt machten, wurden Repressionsopfer mit offenen Armen empfangen. Sie sind entweder längst zurückgegangen, weitergewandert oder voll in die österreichische Gesellschaft integriert. Heute wird nicht mehr gefragt, warum jemand kommt, sondern was er kostet. Die humanitäre Tradition ist Geschichte. RALF LEONHARD