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Archiv-Artikel

Der Parkbank-Mythos

Mann, Hund und Neptun: Waldemar Otto ist in Bremen eine Berühmtheit und seine Werke verschönern Hamburg, Rostock, Osnabrück. Aber gegenständliche Bildhauerei hat’s schwer. Ein Atelierbesuch kurz vor dem 80. Geburtstag

Nix da Entrückung! Ottos’ Agamemnon trampelt wüst auf Iphigenie herum

AUS WORPSWEDE JENS UTHOFF

Die meisten seiner Freunde sind aus Bronze. Fast 500 umgeben ihn hier, in seinem Atelier am Rande von Worpswede. Da kommen die aus Fleisch und Blut nicht gegen an. „Natürlich habe ich eine Beziehung zu meinen Figuren“, sagt Waldemar Otto, der Bildhauer.

Wie sollte das auch anders gehen? Bis zu zehn Stunden am Tag werkelt er hier mit Wachs, Gips und Plastik. Er schleift, schmiedet und beackert seine Rohstoffe so lange, bis sie in Form gebracht sind. Otto zeigt auf die dicken Wachsplatten, die an der Wand lehnen: „Von körperlicher Arbeit versteh’ ich was.“ Er durchstreift sein Atelier, schaut auf zu mächtigen Statuen auf Sockeln. Otto ist ein kleiner, kompakter Mann. Er trägt mittlerweile Dreitagebart. Der markante weiße Schnäuzer von früher ist weg. Der musste bei einer Operation dran glauben: Schlaganfall, vor anderthalb Jahren war das. Ottos Brille baumelt an Sportbändern die Brust herunter, auf einen Pulli in blassem Ockerton. Eine graue, schlabbrige Hose fällt auf seine Hausschuhe.

In Bremen ist Waldemar Otto berühmt. Kunsthistorische Nachschlagewerke rubrizieren ihn, seinen Kollegen Bernd Altenstein und beider SchülerInnen als „Bremer Bildhauerschule“. Der Begriff steht für den seit den 1970ern unternommenen Versuch, die gegenständliche Plastik wieder zu beleben. Sein Neptunbrunnen auf dem Domshof schaffte es zum Semi-Skandal: Die Figur blieb hinten offen, der Neptun nur von einer Seite zu bestaunen. Offener Rücken, mitten in der Altstadt, das fand man unerhört im Jahr 1991.

Aber auch der Rest des Nordens müsste ihn kennen: Er ließ vor vier Jahren Diana und Hammonia vor die Hamburger Handelskammer hieven, in Osnabrück steht sein „Mann im November“ und der Rostocker Möwenbrunnen stammt von ihm.

Kaum zu glauben, dass dieser Mann einen Schlaganfall gehabt haben soll. Zu lebhaft referiert er über seine Werke, zu enthusiastisch schreckt er hoch, als es um seine aktuelle Arbeit geht – ein Wettbewerbsbeitrag, eine große Sache. „Das hat mich richtig gekickt“, verrät er– mehr aber auch noch nicht.Waldemar Otto feiert am Montag Geburtstag, 80 Jahre ist er dann.

Werke aus allen Schaffensperioden Waldemar Ottos zeigt das Gerhard-Marcks-Haus derzeit in Bremen. Jeder Raum widmet sich einem thematischen Schwerpunkt Ottos: Die Serie von Rümpfen, die „Männer“-Reihe, dazwischen Skulpturen zur griechischen Mythologie. Im Zentrum der Ausstellung steht das beeindruckende Porträt des Künstlers als „Alter Mann“: Die Hände in den Taschen, blickt die Figur mit leerem, wartenden Blick in den Himmel. Lang gezogene, kantige Züge liegen auf dem Gesicht. Ein großer, ovaler Kopf neigt sich nach hinten.

Alter Mann? Retrospektive? Davon ist in der Tat im Worpsweder Atelier nicht viel zu spüren. Hier arbeitet einer, der nach vorne schaut: Erste Entwürfe einer „Demonstranten“-Reihe liegen schon auf dem Schreibtisch. Otto legt Maß an, an die Volksbewegungen in Ungarn, Tschechien, der DDR im Jahre 1989. Als er erzählen will, klingelt’s: Eine Käuferin wartet dort. Sie will eine Skulptur, als Geburtstagsgeschenk für den Gemahl, „aber bloß nicht zu pompös“.

Otto führt die Frau zum Schreibtisch, sieht in seiner Kladde nach. Akribisch verzeichnet er alle Werke: Kleine Skizze oder Photo, daneben Käufer und Auflage. Maximal ein Dutzend, mehr nicht. Das hat er mal so festgelegt. „Der grüne Punkt“, sagt Otto, „steht für ausverkauft.“ Er blättert. Allzu viele grüne Punkte gibt’s noch nicht.

Otto und die Frau umstreifen die Schemel, beäugen die Figuren, die darauf stehen. Diese guckt zu finster, jene ist zu mächtig, eine dritte zu mickrig. Dann kommen die richtigen: Männerfiguren, melancholisch, aber nicht gebrochen. „Ich überleg’s mir nochmal“, sagt die Frau. Zum Abschied tritt Ottos Hündin Mara auf den Plan: Sie will die Kundin kaum gehen lassen, leckt ihr an der Hand herum.

Mara ist ein mittelgroßer, braunschwarzer Mischling. Meist stromert sie etwas verloren durch die hellen, großen Atelierräume. Jetzt wartet sie auf ihren Spaziergang, muss sich aber noch etwas gedulden. Otto schickt sie auf ihren Platz – zu Füßen einer im Sessel sitzenden Dame aus Bronze. Sie gehorcht aufs Wort.

Kurz darauf ist Mara schon wieder da: Diesmal als Kunst gewordene Plastik. Ein Mann sitzt auf einer Parkbank, ihm zu Füßen sein Hund. „Mann und Hund“ heißt das Werk. Unzweifelhaft dabei, welcher Mann und welcher Hund porträtiert sind.

Otto inszeniert dieses Motiv nahezu naturalistisch: Ein Mann, nicht mehr der jüngste, der sich in gebeugter Haltung seinem Hund zuwendet. Müde blickt er hinab, die Hand hinter dem Ohr des Hundes. Der Hund sieht zu ihm auf, liegend. Beide schauen einander hilflos an. Ihnen geht es nicht gut.

Auch im Marcks-Haus, versteckt im hinteren Teil, ist Mara zu bestaunen: „Mara und ich sind ganz deprimiert“ ist ein Teil der dortigen Hunde-Trilogie bezeichnet. Herbstspaziergang, Hund neben sich, Wind und Regen, dazu dieser Titel: Genau hier will man verweilen, vor dieser Skulptur. Trotz der tristen Szenerie, oder deswegen.

Im Marcks-Haus hat man zu leiden unter dem Renommee der figürlichen Bildhauerei. In der Kunst der Moderne und Postmoderne gelte sie als redundant, als konservative Kunstform, schreibt Arie Hartog, Kurator des Museums, in einem zur Ausstellung erschienenen Text. Das Marcks-Haus steht sinnbildlich für die figürliche Bildhauerei des Nordens, vielleicht sogar Deutschlands. Jene bleibe immer unterschätzt, dabei sei sie mittlerweile genauso pluralistisch wie andere Kunstformen auch, sagt Kustodin Veronika Wiegartz: „Außerdem hat sie ja immer auch abstrakte Anteile.“

Die sind auch in Waldemar Ottos Atelier deutlich sichtbar. Etwa, wenn er selbst sich neben seinen „Agamemnon“ stellt. Kurz ruft er sich den Mythos ins Gedächtnis, dann kommt er ins Dozieren: „Das war natürlich peinlich für den Agamemnon“, sagt er, „da wollte er mit seinen Flotten in den Trojanischen Krieg ziehen und konnte nicht.“ Schließlich hatte die Göttin Artemis deftigen Gegenwind geschickt. Um sie zu besänftigen, widmet ihr der König von Mykene seine Tochter Iphigenie – die, statt zu verbrennen, von der Göttin entrückt wird nach Aulis.

Bei Otto: Nix da mit Entrückung. „Als der Irakkrieg ausbrach“, sagt der Künstler, „hatte ich diese Geschichte im Kopf“. Sein Agamemnon im Atelier trampelt wüst auf Iphigenie herum.

Sollten die Kritiker der figürlichen Skulptur das mit Konservativismus meinen, okay: Der trifft genau auf den Punkt.

„Waldemar Otto – Keine Retrospektive!“, bis 10. Mai, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen