: Begrenzte Aufgabe
Bundeswehr soll Kundus sichern, die Warlords und deren Drogenhandel aber in Ruhe lassen
aus Berlin BETTINA GAUS
Man stelle sich vor: Eine Polizeistreife besetzt das Finanzamt Berlin-Charlottenburg und verlangt ultimativ, das Einziehen von Steuern auf alkoholische Getränke sofort und dauerhaft einzustellen. Andernfalls drohten Zwangsmaßnahmen. Was würde wohl geschehen: Wären es die Polizisten, die Probleme bekämen, oder diejenigen, die über die Höhe der Alkoholsteuer entscheiden? Wer meint, die Antwort sei doch ganz einfach, sei gewarnt. Spitzenpolitiker scheinen ein derartiges Szenario für Erfolg versprechend zu halten. Jedenfalls dann, wenn es sich um ein Land handelt, das weit entfernt ist. Afghanistan, zum Beispiel.
Dorthin sollen jetzt weitere Bundeswehrsoldaten entsandt werden, um in der Stadt Kundus und den anliegenden Provinzen für Stabilität zu sorgen und um, wie es Verteidigungsminister Peter Struck im Bundestag ausdrückte, „die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung zu erhöhen“. Über Parteigrenzen hinweg meinen Politiker offensichtlich, dass sich dieses Ziel auch dann erreichen lässt, wenn man keinen Versuch unternimmt, die wichtigste Einnahmequelle der Regierungsgegner zu verstopfen.
Drei Viertel des weltweit gehandelten Heroins kommen aus Afghanistan. In der Gegend um Kundus blüht der Mohn besonders leuchtend. Das dürfte vorläufig so bleiben – denn die Drogenbekämpfung ist, so Struck, „ausdrücklich nicht Aufgabe der Angehörigen der Bundeswehr“. So sieht das auch einer seiner Vorgänger: Das sei eine „polizeiliche Aufgabe“, sagt Volker Rühe in einem Fernsehinterview.
Winfried Nachtwei von den Grünen hält es für „selbstverständlich illusorisch“, dass Bundeswehrsoldaten die Drogenbarone dazu zwingen, von ihrem Tun zu lassen. Auch der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble erklärt, die Bundeswehr sei mit der Bekämpfung des Drogenhandels überfordert. Zugleich fordert er: „Richtig ist auch, dass wir von den lokalen Machthabern verlangen müssen, dass sie vom Drogenanbau nicht profitieren, sondern ihn bekämpfen.“ Eine sehr ehrenwerte Forderung. Man erinnert sich allerdings, was geschah, als der Fuchs zum Hüter der Gänse ernannt wurde.
„Gerade aus dem Drogenhandel finanzieren die Warlords ihre Privatarmeen“, erläutert Werner Hoyer von der FDP. Seiner Ansicht nach werden die Bundeswehrsoldaten „in Kundus so lange sicher sein, wie sie den regionalen Machthabern nicht in die Quere kommen. Insbesondere den Drogenbaronen.“ Dafür spricht manches. Machthaber pflegen den Geldhahn nicht freiwillig zuzudrehen, der es ihnen ermöglicht, an der Macht zu bleiben. Auch deshalb müssten blaukreuzlerische Polizisten erfolglos bleiben, die beim Finanzamt gegen die Alkoholsteuer intervenierten.
Dieser Vergleich hinkt? Aber ja. In jeder Hinsicht. Allerdings ist er bei weitem nicht so schief wie das Bild, das in der Bundestagsdebatte von der afghanischen Realität gezeichnet wird. Hans Raidel von der CSU befindet: „Wir sind doch auf gutem Wege. Wir haben eine Polizeischule dort.“ Na dann.
Nur Außenminister Joschka Fischer liefert Anlass zu dem vorsichtigen Optimismus, dass sich die Bundesregierung bei ihren Beratungen der Gesamtproblematik vielleicht doch bewusst gewesen ist. Er verweist darauf, dass der Westen mit seinem Kampf gegen den Drogenhandel nicht allein steht. „Die Nachbarstaaten bekommen mehr und mehr ein Problem.“ Auch die Anrainer bezeugten angesichts der Gefährdung ihrer eigenen Jugend ein wachsendes Interesse am Kampf gegen Heroin.
Auf Unterstützung sind die Bundeswehrsoldaten dringend angewiesen. Bislang haben sich alle Hoffnungen zerschlagen, dass andere europäische Nationen dem deutschen Vorstoß folgen wollen, die Befriedung der Region über so genannte Inseln der Stabilität zu erreichen. Was aber wäre die Alternative? Wolfgang Schäuble sieht für die internationale Staatengemeinschaft nur die Möglichkeit, sich entweder ganz aus Afghanistan zurückzuziehen oder eben den Einsatz über die Hauptstadt hinaus auszudehnen. Er warnt: „Ein Rückzug aus Afghanistan wäre eine dramatische Niederlage im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.“
Die wünscht niemand. Und deshalb haben die Abgeordneten ihre Entscheidung eigenen Bekundungen zufolge nicht auf die leichte Schulter genommen. „Wir wissen, dass es nicht ungefährlich ist“, sagt Struck. „Das weiß doch jeder, wie quälend wir es uns hier machen“, behauptet Raidel. Die Bündnisgrünen stimmen laut Nachtwei erst „nach sorgfältiger Prüfung“ zu. Hoyer, dessen Fraktion als einzige die Vorlage ablehnte, versichert: „Wir haben uns diese Entscheidung alles andere als leicht gemacht.“ Und Schäuble betont, die Entscheidung falle „allen Kolleginnen und Kollegen nicht leicht“. Interessant, dass alle das für erwähnenswert halten. Bei 57 Neinstimmen und 5 Enthaltungen wurde der Antrag mit den Stimmen von 531 Abgeordneten angenommen.