: Gefängnisse zum Weglaufen
Aus der Haftanstalt Billwerder türmen regelmäßig Häftlinge, in Vierlande funktionieren nicht einmal die Alarmknöpfe. SPD fordert Rücktritt von Senator Roger Kusch
Ein „personifiziertes Risiko“ sei dieser Justizsenator, poltert SPD-Fraktionschef Michael Neumann und verweist auf einen Bericht des Abendblatts zu den Sicherheitszuständen in der Justizvollzugsanstalt Vierlande. Dort gäbe es nach den Aussagen mehrerer Bediensteter „haarsträubende“ Zustände, ergänzt sein Fraktionskollege Rolf-Dieter Klooß: Die Alarmknöpfe würden seit Jahren nicht funktionieren, weil kein Geld für die Wartung da sei. Wachtürme blieben aus Personalmangel unbesetzt, Zellenkontrollen würden deswegen nur noch sporadisch durchgeführt.
„Es gibt keinen Grund, am Wahrheitsgehalt dieser Aussagen zu zweifeln“, weiß Neumann und fordert Senator Roger Kusch (CDU) auf, sich sofort um die Sicherheitslücken zu kümmern und dafür „unverzüglich seinen Urlaub zu unterbrechen“. Oder besser, einfach auf Dauer in den Ferien zu bleiben. „Zeit zu gehen, Herr Kusch“, legt Neumann dem Senator den Rücktritt nahe.
Das dürfte auf taube Ohren treffen. „Kusch ist kein Mensch der zurücktritt, denn das würde Einsicht in eigene Fehler bedeuten“, steht der GAL-Justizexperte Till Steffen der Rücktrittsforderung skeptisch gegenüber. Auch dass Ole von Beust seinen Männerfreund nach dessen zahllosen Pleiten und Pannen entlasse, glaubt Steffen nicht: „Der Bürgermeister hat kein Interesse daran, diesen Zustand zu beenden.“
Die Sicherheitslücken in Vierlande seien, so Steffen, „das Resultat der von Kusch durchgedrückten Umwandlung der JVA Billwerder in eine geschlossene Haftanstalt“. Um diese Umstrukturierung zu finanzieren, hätten „alle anderen Gefängnisse massiv Personal abgeben müssen“. So würden heute etwa auf den Wachtürmen der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis „Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste, deren Qualifikationen niemand kennt“, die Anstalt bewachen. Nachts seien die Kontrolltürme gänzlich unbesetzt. „Herr Kusch hat immer mehr Plätze des geschlossenen Vollzugs geschaffen, die immer schlechter gesichert sind“, weiß Steffen. Genau das Gegenteil wäre nach Auffassung des GALiers richtig: „Wir brauchen weniger geschlossenen Vollzug, der dafür aber besser bewacht wird.“
Die SPD will nun auf der nächsten Sitzung des bürgerschaftlichen Rechtsausschusses am 19. Oktober die Zustände in Vierlande zum Thema machen. Der Senator habe aus den Schlagzeilen über die Ausbrüche „aus Billwerder, dem Gefängnis zum Weglaufen, nichts gelernt“, schießt sich der Ausschussvorsitzende Klooß schon einmal auf Kusch ein. Marco Carini
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