Böse Rechnung für schlechtes Modell

Bis zu einer halben Milliarde Euro könnte Bremen das Gewerbegebiet Hansalinie kosten – weil Parlamentarier der großen Koalition sich vor Jahren mit „aus den Fingern gesogenen“ Zahlen begnügten. Heute will niemand Schuld gewesen sein

Bremen taz ■ Selbst der Space Park schrumpft dagegen zur Peanut zusammen. Mit bis zu einer halben Milliarde Euro könnte das Gewerbegebiet Hansalinie in der Arberger und Mahndorfer Marsch den Bremer Haushalt belasten. Das hat die staatseigene Bremer Investitionsgesellschaft (big) ausgerechnet. Grund: Das 800 Hektar große Gewerbegebiet, das der Bremer Senat Ende 1998 ankaufen ließ, lässt sich nur wesentlich schleppender vermarkten, als prognostiziert.

Klar ist: Sowohl die big-Vorgängerin hibeg als auch die Wirtschaftsförderungsgesellschaft hatten einst lediglich sieben verkaufte Hektar pro Jahr für realistisch gehalten. Dem Wirtschaftsressort – damals besetzt mit Senator Josef Hattig und Staatsrat Frank Haller – reichte das offenbar nicht aus. Es ersetzte die Zahl 7 durch „20“ – und präsentierte dem Vermögensausschuss eine „Modellrechnung“, wonach sich alle Zins- und Tilgungskosten Bremens für das Mega-Gewerbegebiet wieder einspielen würden. SPD und CDU stimmten zu, auch Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) erhob keine Einwände.

Heute will davon niemand mehr etwas wissen. Von einer „Vorspiegelung falscher Tatsachen“, spricht SPD-Chef Carsten Sieling. Man sei natürlich davon ausgegangen, dass die der Rechnung zugrundeliegenden Annahmen „solide sind und die da keine mathematischen Übugen abhalten.“ Was aber, glaubt man Perschau, offensichtlich der Fall war. Mit Modellrechnungen, sagt der Ex-Wirtschaftssenator, zeige man lediglich auf, wie viele Hektar man jährlich verkaufen müsste, um das für Ankauf und Erschließung der Flächen vorgestreckte Geld samt Zinsen wieder hereinzubekommen. Oder eben, welche Ausgaben der Staat tragen müsse, wenn die Vermarktung der Flächen stocke oder der Verkaufspreis sinke. Dass irgendeine Zwischenfinanzierung anfallen würde, so Perschau zur taz, „das war allen klar“. Denn dass die Erschließung eines Gewerbegebiets für umsonst zu haben sei, „ist höchst unwahrscheinlich“.

Die Parlamentarier hätten die Verpflichtung in dreistelliger Millionenhöhe ohne Plausibilitätsprüfung abgesegnet und sich stattdessen mit der „aus den Fingern gesogenen Zahl“ von 20 Hektar begnügt, kritisierte gestern die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karolin Linnert, in der Bürgerschaft.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Max Liess, sah die Schuld an dem Finanzdesaster dagegen beim Senat. Der habe noch im letzten Jahr „die vergleichsweise hohe Vermarktungsquote“ in der Hansalinie gerühmt und es an jedem Hinweis auf die „finanziell gefährliche Situation“, die längst gegeben war, fehlen lassen. Einig sei man sich zudem mit den Grünen, dass zumindest die Westerweiterung des Technologieparks jetzt erst einmal auf Eis gelegt werden müsse.

Die von der SPD eingebrachte Anfrage, die sich nach den politisch Verantwortlichen der Millionen-Last erkundigt, beantwortete Linnert gestern schon mal auf ihre Weise: „Kucken Sie in den Spiegel.“ Armin Simon