: berliner szenen Am Winterfeldtplatz
Von 18 bis 19 Uhr
Die Schöneberger werfen lange Schatten zu Beginn dieser Stunde an diesem Dienstag. Die Sonne sendet letzte goldene Strahlen die Winterfeldtstraße entlang. Dies ist der letzte schöne Tag, hat die Eisverkäuferin in der Maaßenstraße gesagt. Und man hat sich gewappnet für die Zeit, da der Winter, da Hartz IV beginnt und Schatten auf den Sonnenuhren liegen. Aber heute ist das noch nicht so! Um 18.15 Uhr glimmt die Sonne am Ende der Straßenschlucht (die nach Westen ausgerichtet ist) noch einmal hell orange auf, während in der Kirche die Glocken zu schlagen beginnen. Dann ist die Sonne verschwunden. So fängt eine blaue Stunde an, die wie ein Geschenk erscheint. Der Winter wird kommen; aber dies ist noch einer der südlicheren Tage.
Am Platz herrscht dazu großes Treiben. Auf dem Spielplatz bei der Schule ein Gewippe und Geklettere, als würden die Kinder dafür bezahlt. Vor dem Theater Hans Wurst Nachfahren der dazugehörige Müttertreff zum Kaffee. Auf dem Winterfeldtplatz selbst fahren viele Kinder und ein paar Erwachsene Inlineskates. Viele kennen sich und winken, der Platz funktioniert also wirklich einmal als Zentrum einer Sozialstruktur. Auf der unteren Hälfte des Platzes spielen sechs Mann Hockey auf Rollschuhen. Die Kombinationen können sich sehen lassen. Man sieht gern zu – während bei den umliegenden Häusern mit dem Licht zuerst die Farben verschwinden.
Um 18.50 Uhr stellt sich dann die Beleuchtung der Klosterfrau-Melissengeist-Standuhr am Zebrastreifen an. Recht theatralisch übrigens. Sie geht ein paar Mal an und aus, bevor sie endgültig leuchtet. Der Tag hat sein Bestes gegeben. Nun übernimmt die Nacht. DIRK KNIPPHALS
(19 bis 20 Uhr: kommenden Freitag)