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Archiv-Artikel

Nach draußen gehen und sehen

Systemische Aufstellungen mit Möbelstücken helfen auch nicht immer richtig weiter: Lieber sollte man am Zaun stehen und Fußball gucken am Südstern, sich selbst damit unterhalten, indem man ab und zu „oijoijoij“ sagt, und dazu allgemein wohlwollende Kopfbewegungen machen

Der Nachmittag war sonnig und ich hatte die Wohnung nach Tagen wieder verlassen, wie mir schien. Es sind immer die gleichen Wege, die man automatisch geht, wenn man das Haus verlässt, aber es ist doch immer wieder überraschend, wie viel heller es draußen ist als in der Wohnung, die man mit zwei Schreibtischen, zwei Sesseln, vier Stühlen und einem Sofa teilt, und weil sich die Möbel nicht selber bewegen können, schiebt man sie jeden Tag hin und her, um sie ins richtige Verhältnis zueinander zu bringen, hatte ich am Abend zuvor gedacht, und dass meine Einzelwohnerwohnung wie jede von Geistern bevölkert ist und dass die Möbelstücke vermutlich irgendwelche Leute repräsentieren, dass man unbewusst also systemische Aufstellungen durchprobieren würde und dass das alles immer unbefriedigend ausgeht, weil völlig unklar ist, wer hier wer ist, und man sich selber ja eigentlich auch noch angemessen zwischen seinen Möbeln positionieren müsste.

Man krankt an Langeweile und bevölkert den eigenen Missmut mit Narreteien, obgleich man es eigentlich richtig findet, nichts zu erleben, hatte ich am Abend gedacht und nun, draußen, im Freien, wie man so sagt, zwischen den Häusern, hätte ich die gerne verschoben, weil ihre Fassaden so wahnsinnig hässlich sind und nicht zueinander passen. Auf dem Sportplatz an der Gneisenaustraße spielten zwei Fußballmannschaften. Die Sonne schien. Ich stand am Zaun. Ein paar Meter weiter stand ein anderer Mann mit braunen Locken. So ein lockerer alternativer Typ Anfang dreißig, der so wirkte, als würde er auch an die Zeit denken, als er noch im Verein gespielt hatte. Er stand nahe genug, um zu hören, wie ich zu Matthias im Telefon sagte, ich sei gerade am „Südstern“, Fußballgucken, und dass das ja meist viel interessanter sei hier am Zaun als Bundesliga. Zustimmend lachte der Typ. Und ich machte wohl irgendeine allgemein wohlwollende Kopfbewegung.

Die in Rot spielenden Fußballer des heimischen BFC-Südring waren zwar hoch feldüberlegen, jedoch ziemlich schlecht im Abschluss. Die wenigen Konter der in Weiß spielenden Gegner waren gefährlicher, führten aber auch nicht zum Erfolg. Einmal tauchte ein Weißer mit blonden Haaren ganz allein vor dem Tor auf, versagte aber kläglich. Einmal schoss auch ein hünenhafter Weißer, der an den Indianer aus „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnerte, fast von der Mittellinie und der Torwart der Roten konnte den Ball erst im Nachfassen festhalten. Um mich zu unterhalten, sagte ich „oijoijoij“. Der Trainer, ein gut und freundlich aussehender Türke, der mit seiner blonden Freundin auf der Trainerbank saß, antwortete, zu mir gewandt, dass ihr eigentlicher Torhüter verletzt sei, der Mann im Tor ein Feldspieler wäre, weil ihr Torwart krank sei. Dann legte er sich entspannt auf die Bank, hielt sein Gesicht in die Sonne und schloss die Augen, obgleich seine Mannschaft mit 0:1 zurücklag, wie mir der andere Zaungast mitteilte.

Dann fiel das 0:2 und dann sagte der Schiedsrichter: „noch eine Minute“, und dann wechselte Weiß aus und ein roter Spieler rief: „Mach hinne, beeil dich, ich will noch gewinnen.“ Sein Wunsch war aber völlig unangemessen und substanzlos.

DETLEF KUHLBRODT