: Kannibalismus lohnt sich wieder
Bauern sparen Geld, wenn sie ihr Vieh mit Dünger aus den Resten verstorbener Vierbeiner mästen. Ein Grund, warum es in diesem Jahr schon 50 Fälle von Rinderwahn gegeben hat, warnt der Verbraucherverband Foodwatch. BSE ist zurück
AUS BERLIN MATTHIAS URBACH
Könnte wieder verseuchtes Tiermehl in die Nahrungskette gelangen? Weitere Rinder mit BSE infizieren und die Seuche weiter am Leben halten? Vor dieser Gefahr warnte der Verbraucherverband Foodwatch gestern in Berlin. Der Grund: Derzeit wird Tiermehl billig als Dünger verkauft, obwohl es nicht durch Bitterstoffe oder grelle Farben für Tiere ungenießbar gemacht wurde. „Ein potenzielles Missbrauchsrisiko“, urteilt Matthias Wolfschmidt von Foodwatch.
Dabei verlangt die EU-Verordnung 1774/2002/EC, dass Dünge-Tiermehle „dauerhaft – wenn technisch möglich durch einen Geruchsstoff – gekennzeichnet“ werden müssen. Die Verordnung gilt seit März 2003. „EU-Gesetze werden gebrochen und Frau Künast tut nichts“, kritisiert Wolfschmidt. Im Verbraucherministerium kann man die Kritik allerdings nicht nachvollziehen. „Da es eine EU-Verordnung ist, handelt es sich um unmittelbar geltendes Recht“, sagt Ministeriumssprecherin Gabriele Martin. „Wir können da gar nichts machen.“ Denn dies sei nun eine Frage der Futterkontrolle – und die unterliege den Ländern.
Rund 170.000 Tonnen Tiermehl zu Düngezwecken wurden Foodwatch zufolge 2003 verkauft. Im Jahr davor waren es 130.000 Tonnen, davor 30.000. Im Prinzip handelt es sich um normales Tiermehl, mit einem Nährwert vergleichbar der Soja, die bei der Rindermast zugefüttert wird – nur dass die Soja mit um die 310 Euro pro Tonne 10-mal teurer kommt als der essbare Dünger. Grund für den Preisunterschied sind unter anderem Subventionen zur Tiermehl-Beseitigung, seit es nicht mehr zur Mast eingesetzt werden darf.
Nun ist das Futter der größte Kostenfaktor bei der Rindermast. Bei den ohnehin stark gebeutelten Bauern sei die Verlockung groß, das Tiermehl zu verfüttern, vermutet Wolfschmidt. Die staatlichen Kontrolleure seien dagegen machtlos. „Der Bauer braucht ja nur zu sagen: ‚Das ist Dünger‘ – und die Futtermittelkontrolleure sind nicht mehr zuständig.“
Zwar darf für Dünger kein Tiermehl aus so genanntem Hochrisikomaterial verwendet werden. Doch die üblichen Verfahren zur Herstellung von Tiermehl können noch immer nicht hundertprozentig alle Erreger beseitigen. Gerade im Ausland sind die Verfahren oft nachlässig. Durch illegale Düngerverfütterung könnte also die Rinderwahn-Epidemie unnötig verlängert werden – auch wenn die Wahrscheinlichkeit für den von Foodwatch befürchteten Mechanismus nicht sehr hoch ist.
Die Verwendung von verseuchtem Tiermehl war der Hauptgrund für die BSE-Epidemie. Zwar hatte Großbritannien bereits 1988 verboten, Tiermehl an Wiederkäuer zu verfüttern. Da es aber Schweine und Hühner weiter gegeben werden durfte, blieben große Mengen Tiermehl im Umlauf – und wurden illegal auch an Rinder verfüttert. Die Epidemie breitete sich aus. Als in Deutschland im November 2000 der erste offizielle Fall bekannt wurde, verbot der Bund das Verfüttern jeglichen Tiermehls, um diese Lücke zu schließen. Die EU folgte kurz darauf. Man wollte auf Nummer sicher gehen, nachdem das Problem durch 15-jähriges Verschleppen erst zu einem Skandal wurde.
Noch immer treten BSE-Fälle auf. In Deutschland wurde am Montag der 50. Fall dieses Jahres bekannt – zur selben Zeit 2003 waren es gerade mal 40 Fälle. Damit ist es wahrscheinlich, dass die Zahl von 54 Fällen aus dem Vorjahr übertroffen wird. Bislang war die Zahl rückläufig.
Ein höheres Risiko für den Menschen entsteht allerdings nicht. Der Gesundheitsschutz beruht darauf, dass alle geschlachteten Rinder ab dem 25. Monat auf Rinderwahn getestet und die Risikomaterialen mit hohem Erregeranteil aus den Tieren entfernt werden. Allerdings ergab eine Schwachstellenanalyse des Bundes vom Frühjahr, dass den Kontrolleuren ab und zu Rinder durch die Lappen gingen: In einigen Bundesländern wurden weniger Tiere getestet als geschlachtet.