fußpflege unter der grasnarbe : Kurt Jara in den Mühlen des Neokolonialismus
Gestern beging Österreich den Nationalfeiertag. Wie jedes Jahr wurde eine repräsentative Umfrage zum Gemütszustand der Nation und die Schweiz als Österreichs Lieblingsnachbar präsentiert. Deutschland rutschte in der Sympathierangliste vom zweiten auf den vierten Platz ab. ÖsterreicherInnen verstehen sich besser mit Ungarn und Italienern.
Diese Entwicklung wird niemanden verwundern, der die Trainerablöse beim HSV mitverfolgt hat. Da verspricht das hanseatische Management dem Tiroler Kurt Jara öffentlich, an ihm festzuhalten – um drei Tage später einen neuen Trainer zu präsentieren. Das ist bösester Turbokapitalismus und wird vom österreichischen Volk, dem die Solidarität ein hoher Wert ist, abgelehnt.
In jenen dramatischen Tagen vor Jaras Ablöse hatte Trainerkollege Werner Margreiter noch eine Solidaritätsadresse an den angeschlagenen HSV-Trainer geschickt: „Halte durch, Kurtl! Egal wo und wann, wir Österreicher müssen immer zusammenhalten!“ Jara und Margreiter saßen scheinbar im selben Boot. Beide waren als Trainer fern der Heimat beim nördlichen Nachbarn engagiert, der eine beim HSV, der andere beim DSV. Bei näherer Betrachtung werden aus den oberflächlichen Parallelen der beiden Schicksale aber geradezu Widersprüche. Kein Wunder, dass der Fußballtrainer untergegangen ist, während der Alpinist munter weiterrudert.
Werner Margreiter, bis 1999 Coach im stärksten Ski-Team der Welt, soll die Herrenmannschaft des Alpinski-Entwicklungslandes Deutschland (ist Martina Ertl wirklich Deutsche?) halbwegs wettbewerbsfähig machen. Kurt Jara hingegen kam aus einem Fußball-Entwicklungsland (Österreich ist in der aktuellen FIFA-Rangliste auf Platz 62, drei Plätze hinter Trinidad und Tobago) ins Land des dreimaligen Weltmeisters, um einen Traditionsklub mit Hilfe österreichischen Know-hows an die europäische Spitze zu führen. Margreiters Engagement entspricht einer traditionellen geopolitischen Logik, Jara verfolgte ein radikal antikolonialistisches Projekt. Letzteres konnte die Fußball-Supermacht Deutschland kaum länger tolerieren.
Ein verantwortungsbewusster Wirtschaftsflüchtling kehrt nach ein paar fetten Jahren in sein Heimatland zurück, um die im Norden gewonnen Erfahrungen an seine Landsleute weiterzugeben. Da sich Jara inzwischen an die im internationalen Geschäft üblichen Gagen gewöhnt hat, halten viele den österreichischen Meister Austria für seinen logischen nächsten Arbeitgeber.
Austria wird von einer Junta dirigiert, deren Hauptbeschäftigung es ist, in kurzer Zeit möglichst viel vom Geld des Multimillionärs Frank Stronach auszugeben. Dies wird unter anderem durch ständige Trainerwechsel bravourös bewerkstelligt. Gegen ein Engagement Jaras spricht allerdings die konservative Entwicklungspolitik Austrias. So wird Meistermacher Christoph Daum und dem jetzigen Trainer Joachim Löw wohl ein weiterer deutscher Missionar nachfolgen.