: Nicht nur Zeitungsessays
Joseph Pichhadzes Großstadtthriller „Besame Mucho“ und Joseph Cedars Westbankfilm „Time of Favor“ zeigen: Aus Israel kommen auch hervorragende Genre-Filme
Wenn ein Freund dem anderen, der gerade aus dem Knast kommt, die Wohnung aufräumt und sogar noch die Klingel repariert, die Besucher von nun an mit ratternden MG-Schüssen ankündigt, dann wird diese Schelle mit Sicherheit noch eine größere Rolle spielen. Und wir sind eindeutig im modernen Großstadt-Thriller.
Für Besame Mucho hat sich Joseph Pichhadze die Film noir-Anklänge, die Unverblümtheit sowie das Skurril-Makabre von Quentin Tarantino geliehen und seinen Plot mit einer tragischen Kumpanei à la Scorsese aufs beste geschmiert. Es geht um organisierten Ikonenschmuggel aus der ehemaligen Sowjetunion, Loyalität, Macht und selbstverständlich auch Liebe. Dazu überrascht noch die scheinbar unwichtigste Nebenfigur mit allzumenschlichen Entäußerungen.
Der 1965 geborene Pichhadze gehört nach eigenem Bekunden zu einer Generation von israelischen Filmemachern, die längst keine „Zeitungsessays“ mehr machen. Nur dass davon in Deutschland bisher wenig zu merken war. Langsam, langsam nur sickern ein paar Thriller oder Familiendramen aus Israel in die hiesigen Festivals ein.
Wer in Israel Filme macht, muss sich anscheinend mit dem Palästina-Konflikt auseinander setzen, um in Deutschland überhaupt wahrgenommen zu werden. Auf eine bestimmte Art auseinander setzen, könnte man hinzufügen, denn auch die jüngeren Genre-Filme sind davon durchdrungen, nur dass sie nicht immer mit einfachen Statements aufwarten.
Ins Zentrum seiner Mischung aus Thriller und Melodram Time of Favor stellt Pichhadzes Kollege Joseph Cedar eine Gruppe orthodoxer jüdischer Siedler in der Westbank. Die ideologische Spitze der Siedlung, Rabbi Meltzer, besetzte er mit Assi Dayan, einer der wichtigsten Figuren des israelischen Films (Life According to Agfa). In Time of Favor buhlen Menachem, Kommandeur einer Armeeeinheit mit ausschließlich orthodox-religiösen Soldaten, und sein Freund Pini um Michal, die Tochter des Rabbis. Beobachtet werden sie dabei vom Geheimdienst, dem jedes Mittel recht ist, wenn es nur verhindert, dass die fanatischen Siedler ein Attentat verüben.
Cedars Film sahnte gleich sechs Preise beim Israeli Film Academy Award 2000 ab. Er dürfte damit ein würdiger Ersatz sein für den angekündigten Film Broken Wings. Mit ihm hat nämlich mal wieder ein israelischer Spielfilm einen deutschen Verleih gefunden. Weil der Film im Januar regulär startet, musste das Metropolis jetzt auf die Vorführung verzichten. Weshalb der morgige Abend ein beinahe lupenreiner Thriller-Abend wird.
Christiane Müller-Lobeck
Besame Mucho: morgen, 19 Uhr; Time of Favor: morgen, 21.15 Uhr, Metropolis