: Nacht der Republik
Von der Decke tropft Kondensat, Tänzer schreien: Die Balkan Beats im Mudd Club und im Oxymoron sind ein Treffpunkt für all diejenigen Kroaten, Serben, Bosnier, die sich noch immer als Jugoslawen verstehen. Aber auch das deutsche Publikum wächst
VON MIRKO HEINEMANN
Im Mudd Club drängen sich rhythmisch wogende Körper aneinander. An den Tischen rundherum sitzen kleine Gruppen zusammen, man klatscht in die Hände oder schwenkt die Arme. Ein paar Jungs in der Ecke grölen den Refrain des serbischen Punkstückes mit, das gerade läuft. Von der Backsteindecke tropft kondensiertes Wasser. Der Balkan ist im Haus.
Nicht nur auf deutschen Konzertbühnen sind Balkan-Styles zurzeit sehr angesagt. Der Bucovina Club des DJs Shantel, der vorzugsweise in Opernhäusern gastiert, ist bereits Legende. Doch der Gegensatz zu den Balkan Beats im Mudd Club könnte kaum größer sein. Hier im feucht-stickigen Keller ist es nicht gefällig abgemischte Instrumentalfolklore, sondern Musik von Punkbands wie KW aus Belgrad oder der Skaband Trovaci, zu der die Tanzenden lustvoll aufschreien.
Zwar spielt der DJ das Stück „Bucovina“ vom gleichnamigen Shantel-Album, aber eben auch Rockmusik und Punk aus Bosnien, Kroatien und Serbien – Reminiszenz an die eigene Herkunft. DJ Robert Soko stammt aus der bosnischen Industriestadt Zenica, ein Stahlwerk mit Plattenbauten drumherum. Er ist halb Kroate, halb Serbe, bezeichnet sich aber als Jugoslawe. Er kam Ende der Achtzigerjahre nach Deutschland, lange bevor 1992 in Bosnien der Krieg ausbrach.
Als Robert Soko Mitte der Neunziger zusammen mit dem Journalisten Rüdiger Rossig die Balkan Beats gründete, setzte sich das Publikum bereits aus bosnischen Dissidenten und Kriegsflüchtlingen zusammen. Unregelmäßig feierten sie Partys in der Kreuzberger Punkkneipe Arcanoa – an einem Ort, der zum Treffpunkt und zur Kontaktbörse derjenigen Kroaten, Serben, Bosnier wurde, die sich keiner Kriegspartei zurechnen wollten, sondern sich nach wie vor als Jugoslawen verstanden.
Roberts Frau Tanja stammt ebenfalls aus Zenica. Die Stadt wurde während des Krieges zur Basis der moslemischen Kriegspartei. Als Serbin wurde die damals 18-Jährige zur Flucht gezwungen. Bei den Balkan Beats in Berlin fühlte sie sich erstmals wieder zu Hause. „Unser Publikum hat bewiesen, dass wir nicht unnormal sind, weil wir uns nicht als Serben, Kroaten oder Moslems deklariert haben“, sagt sie. „Und das heißt, dass dieses jugoslawische Wirgefühl wirklich existiert hat. Nicht alle wurden damals Nationalisten.“
Bis heute hat sich die Vielvölkermischung bei den Balkan Beats erhalten. Seit einigen Jahren verzeichnet Robert Soko auch beim deutschen Publikum ein wachsendes Interesse. Ein Trend, den der DJ im Spannungsfeld zwischen Schrecken und Neugier verortet. „Hätte es den Krieg nicht gegeben, wären wir nicht so interessant geworden“, glaubt er. Dazu kommt sicherlich die Romantisierung Südosteuropas durch Filme wie die von Emir Kusturica. Mit ihren überzeichneten Klischees und extremen Figuren haben sie einen neuen Balkanexotismus begründet.
Bei den Balkan Beats werden aber auch die Werte des Tito’schen Jugoslawiens hochgehalten. Wie zu alten Zeiten feiert man außerdem den sozialistischen Jahrestag „Dan Republike“, den Tag der Republik. „Als ich Teenager war, mochte ich Tito nicht“, sagt Robert Soko. „Aber als ich gesehen habe, was nach Titos Tod in Jugoslawien passiert ist, habe ich angefangen, seine Qualitäten zu entdecken.“ Trotzdem will Robert Soko seine Tito-Verehrung natürlich nicht ganz ernst genommen wissen – wie auch nicht den Kult um die sozialistischen Feiertage. „Wir haben aus Witz angefangen, diese Feste zu feiern. Wir haben ein Tito-Bild aufgehängt, alte Daten reaktiviert wie ‚Tag der Republik‘, ‚Tag der Jugend‘ und gefeiert. Das Feedback war sehr gut. Wir sind immer noch überrascht, wie viele an diesen Tagen kommen.“
Das zunehmende deutsche Publikum beschert den Balkan Beats einen neuen Boom. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sich auch Robert Sokos Musikgeschmack im Laufe der Zeit gewandelt hat. „Wir haben jahrelang einfach nur Punkmusik aufgelegt, und dann haben wir feststellen müssen, dass die Leute zum Beispiel zu Goran Bregovic’ Blasmusik tanzen.“ Zudem wechselt der Ort: künftig jeden zweiten Samstag im etwas schickeren Oxymoron in den Hackeschen Höfen.
Robert Soko legt eine neue Scheibe auf. Nach serbischem Punk und einer Hymne auf das schöne Montenegro läuft ein Hochzeitslied aus Mazedonien. Schmerzhaft, eindringlich, mitreißend. Die Tanzenden heben die Arme und verdrehen die Hände. Die Nacht wird noch lang.
Balkan Beats, heute im Oxymoron, 23 Uhr, Hackesche Höfe, Mitte – nächste Woche wieder im Mudd Club, Große Hamburger Straße 17, Mitte