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Archiv-Artikel

Multimediales Blutbad

Eine Mischung aus ironischem Splatter und Gesellschaftskritik: Am Mittwoch inszeniert Branko Simić die Uraufführung von „Mordkomplex“ auf Kampnagel. Drei TäterInnen suchen darin ihre Opfer, und die Partygemeinde schaut tatenlos zu

von Katrin Jäger

Blut in Strömen wird übermorgen fließen, bei der Uraufführung von Branko Simić multimedialer Inszenierung Mordkomplex. Drei TäterInnen suchen darin ihre Opfer, auf irgendeinem Kiez, in einer Samstagnacht, in einer fiktiven Metropole. „Einer dieser Stadtteile eben, die diese ganze Partyindustrie unterstützen“, sagt Simić , „das Stück ist ein Blick unter die Oberfläche, ein Blick hinter die Neonlichter.“

Das Stück orientiert sich an drei bekannten Mördergestalten aus der Literaturgeschichte: Raskolnikov, dem Täter aus Überzeugung aus Dostojewskis Schuld und Sühne, Woyzeck, dem Mörder aus Eifersucht im gleichnamigen Werk von Georg Büchner; und Medea, die in der griechischen Mythologie aus Rache an ihrem Ex-Mann Jason die gemeinsamen Kinder umbringt. Wie in seiner Inszenierung von Nabokovs Zufall Ende vergangenen Jahres bringt Simić die drei Handlungsstränge als Parallelwelten gleichzeitig auf die Bühne. Die drei TäterInnen morden synchron, während die Kiezgemeinde ignorant ihrem Partyrausch frönt, der D.J. (Viktor Marek) zwar die Morde mitkriegt, aber alles daran setzt, dass die Show weitergeht.

Für Simić ist dieses Szenario gar nicht so irreal. „Wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft hin, die immer extremer wird. Gleichzeitig werden die Menschen Extremen gegenüber immer abgestumpfter. Zum Beispiel, wenn man gefühlskalt auf Massaker reagiert – oder eben unsensibel wird gegenüber diesen Messerstechereien samstagnachts auf dem Kiez. Da sollten die Leute aufwachen, finde ich.“

Dafür sorgen sollen die trashigen Splattertrickfilme von Mariola Brillowska, neben Musik und den gespielten Szenen die dritte Ebene des Stücks. Ein fleischfarbener, zusammengeschraubter Menschenklon schwingt die tödliche Axt mitten ins Gesicht der prallen Dame mit den Ballonbrüsten, spaltet dann den Kopf der unschuldigen, jungen Zeugin, so dass ihr Gehirn frei liegt. „Die Trickfilme zeigen die psychischen Dimensionen, die für Schauspieler nicht mehr darstellbar sind“, sagt Simić . „Sie visualisieren zum Beispiel Raskolnikovs Halluzinationen. Nach dem Mord weiß er ja nicht mehr, was er träumt und was er real sieht.“

Ganz und gar antinaturalistisch legen die Cartoons die Innenwelten der drei ProtagonistInnen frei. Übertrieben und künstlich, doch nicht postmodernistisch beliebig, verspricht der Regisseur, und traut sich damit auf eine Gratwanderung mit Absturzrisiko. Denn die auf die Spitze getriebenen Mordanimationen sollen gleichzeitig auch als ironisches Zitat einer Film- und Theatertradition funktionieren, die Mord gefühlsheischend in Szene setzt.

Für Simić bedeutet diese Doppelfunktion der Trickfilme keinen Widerspruch. „Das sind zwei Ebenen. Diese Form passt sehr gut zum Inhalt des Stücks. Obwohl ich gern über Formen nachdenke, finde ich, dass der Inhalt die Form diktieren muss. Sie ergibt sich im Probenprozess, und das finde ich spannend.“

Wie auch in seinen früheren Stücken spielt bei Mordkomplex das Motiv der Fremde eine zentrale Rolle. „Die Mörder sind Außenseiter, Gesichter, die nicht ins Bild der Partygesellschaft passen“, sagt Simić . Er selbst kennt das Gefühl, fremd zu sein, gut. Vor zwölf Jahren floh er vor dem Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien nach Hamburg. „Ich habe als junger Mann gesehen, wie eine Gesellschaft zusammenbricht, praktisch die totale Tragödie. Seitdem bin ich infiziert von einer bestimmten Art, die Dinge zu betrachten. Also wie Gesellschaft sich entwickelt, nicht nur auf lokaler, sondern auch auf globaler Ebene. Das ist von meiner Persönlichkeit untrennbar, und natürlich von meiner Kunst.“

Sowohl die lokale als auch die globale gesellschaftliche Entwicklung sieht Simić eher pessimistisch. Die Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Nachbarn schaffe den Boden für extreme Gräueltaten wie Kindsmord. Mordkomplex endet dementsprechend mit einem apokalyptischen Szenario – aus der angemessenen ironischen Distanz des reflektierenden Theatermannes. Bleibt zu hoffen, dass die Inszenierung mit ihren enormen Ansprüchen an Vielschichtigkeit nicht überheblich zynisch daherkommt.

Mittwoch, 13. Oktober, 20 Uhr, Kampnagel; weitere Vorstellungen 14.–16., 20., 21., 23. + 24. Oktober, 20 Uhr