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Archiv-Artikel

Verrückte Welt! Verrücktes Stück!

Machtspiele (1): Die Bremer Shakespeare Company entwirrt Shakespeares „König Johann“ mit Tricks aus Hollywood

Alles durcheinander. Warum? „Weil die ganze Welt ein Mischmasch ist“

Seit 20 Jahren arbeitet sich die Bremer Shakespeare Company nun an ihrem Namensgeber ab, und da kann es nicht ausbleiben, dass auch die sperrigen, selten gespielten Stücke angegangen werden. „König Johann“ wurde zwar immerhin einst von Goethe höchstselbst inszeniert und von Friedrich Dürrenmatt bearbeitet, ist aber dennoch eine Rarität geblieben.

Der schlaue Fuchs Shakespeare wusste auch selber, dass dieses Werk über die verwickelten Kriege um die Erbfolge der englischen Krone in den Jahren 1199 bis 1216 zwischen Johann Ohneland und Philip II. von Frankreich ein ziemliches Durcheinander war: Tragödie, Komödie, Pastorale und Historie würde er hier wie einen Wirkteppich verweben, „weil die ganze Welt ein Mischmasch geworden ist“, schrieb er. Und eine seiner Figuren lässt er sagen: „Verrückte Welt! Verrückte Herren! Verrücktes Stück!“

Wie spannt man nun solch ein uneinheitliches Drama, in dem alle paar Minuten jemand in typischer Shakespeare-Manier mit Nachrichten von auf Sandbänken versunkenen Invasionsheeren oder vom Papst erlassenen Dekreten auf die Bühne stürzen muss, in ein dramaturgisch wirkungsvolles Geschirr? Der Regisseur Rainer Iwersen hat sich dafür geschickt bei Hollywood bedient. Wie im Film Noir üblich hat er das schlimme Ende an den Anfang gestellt, und erzählt aus der Perspektive des tödlich vergifteten König Johann in Rückblenden von dessen Aufstieg und Fall.

Dadurch bekommen alle Szenen einen Fokus, dadurch verliert man auch dann nicht die Geschichte aus dem Auge, wenn das Drama etwa mit dem Nebenplot des William Faulconbridge zu zerfasern droht. Ihn hat Shakespeare ins Stück geschrieben, um zumindest einen starken und halbwegs sympathischen Protagonisten zu haben: Christian Bergmann gibt ihn als einen jugendlichen Rebellen, der aussieht, als wäre er direkt von der Sielwallkreuzung auf die Bühne stolziert.

In der in bsc-Tradition eher freien Bearbeitung fallen in dieser Inszenierung aktuelle Schlagwörter wie „gerechter Krieg“ und „Selbstmordattentäter“, und wenn man sieht, wie machtbesessen und wankelmütig die beiden Könige um des strategischen Vorteils willen ihre Treueschwüre brechen, drängen sich zeitgenössische Parallelen förmlich auf. Thomas C. Zinke spielt den König Johann als eine Figur, die gerne dämonisch wäre, in ihrer Wehleidigkeit aber eher lächerlich wirkt. Dagegen ist Markus Seuß als Philip II. ganz der machiavellische Herrscher, der seine Verwandten ohne weiteres an den Feind verkauft und eigene Kriegsverletzungen gelassen als Berufsrisiko betrachtet.

Die beiden mögen ruhig zum Teufel gehen, hat sich wenn nicht auch Shakespeare selber, so doch Iwersen gedacht, und deshalb gehören die wirklich tragischen Szenen den Opfern der Könige, nämlich dem rechtmäßigen Thronfolger Arthur, dessen Mutter Eleonore und einem Feldsoldat namens Hubert.

Wie so oft bei der Shakespeare Company wird die Inszenierung manchmal allerdings auch albern: Da werden Kriegserklärungen dem Gegner als Klopapierrollen an den Kopf geworfen, Philip schmückt sich mit einem Kragen aus Löwenfell mit riesigen Plastikkrallen und die Rebellion des Adels gegen den Monarchen wird durch auf ihn geworfene Papierbällchen symbolisiert.

Trotzdem gelingt dem Ensemble auch hier wieder das Kunststück, Shakespeares poetische Höhenflüge durch die eher bodenständige Bearbeitung zu erden. Mit ihren Scherzen stehlen sie Shakespeare nie die Show, und so kann man sich auch bei „König Johann“ für Shakespeares einzigartige Sprache begeistern.

Wilfried Hippen

Nächste Vorstellungen: 14. und 29. 10 um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz