Ein Hauch von Zuversicht

Geheimdokumente bestätigen Aussage von Verfassungsschützer, dass die Anschläge vom 11. September nicht von Hamburger Studentengruppe geplant wurden. Anklage in Frage gestellt. AnwältInnen beantragen Ladung weiterer Zeugen

von ELKE SPANNER

Den Richtern des 3. Strafsenates am Hamburgischen Oberlandesgericht (OLG) wird bei der Zeitungslektüre gestern das Lachen vergangen sein. Nicht nur, dass sie sich im Prozess gegen Abdelghani Mzoudi am Freitag von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm eine Version der Terroranschläge des 11. September anhören mussten, die der jetzigen Anklage und auch dem OLG-Urteil gegen Mounir El Motassadeq vom Februar widerspricht. Nun mussten sie zusätzlich im Spiegel die Aussagen der offensichtlichen Hauptplaner der Anschläge, Ramzi Binalshibh und Chalid Scheich Mohammed, lesen – die dem Gericht als Prozessmaterial vom Bundeskanzleramt und den Geheimdiensten vorenthalten wurden.

Bisher ist das Gericht nicht gegen die Sperrerklärungen vorgegangen. Das aber erwartet nun Mzoudis Anwältin Gül Pinar. Sie hat gestern zudem angekündigt, die Vernehmung weiterer Zeugen zu beantragen, die laut Spiegel bei der Vorbereitung der Terroranschläge eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Zeitplan des Gerichtes jedenfalls, das den Prozess im Dezember abschließen wollte, scheint nach den jüngsten Entwicklungen hinfällig zu sein.

Die Aussagen von Binalshibh und Scheich Mohammed bestätigen, was Verfassungsschützer Fromm am Freitag ausgesagt hat: Dass nicht die Hamburger Studentengruppe um Mohammed Atta die Idee zu den Terroranschlägen entwickelt und vorbereitet hat, sondern die al Qaida-Führung in Afghanistan. Die habe dann die vier Todesflieger angeworben und ihnen Befehle zur Ausführung der Anschläge erteilt. Da die beiden in Hamburg angeklagten Freunde der späteren Attentäter demnach nicht mit angeworben wurden, heißt das, dass sie auch von den Vorbereitungen ausgeschlossen waren. Damit ist die Anklage laut den AnwältInnen von Mzoudi und Motassadeq gekippt.

Anders sieht das Nebenklage-Anwalt Andreas Schulz, der Angehörige von Terroropfern aus den USA vertritt. Für ihn spielt es keine Rolle, wo die Anschläge vorbereitet wurden. Die Bundesanwaltschaft will sich nicht zu den Entwicklungen äußern. Dass die US-Behörden dem Bundeskanzleramt und den Geheimdiensten Auszüge der Verhörprotokolle von Binalshibh und Scheich Mohammed zur Verfügung gestellt haben, war schon im Prozess gegen Motassadeq bekannt. In beiden Verfahren hatte das Gericht Einsicht verlangt, in beiden Fällen aber wurde das abgelehnt. Durch Verlesung in einem öffentlichen Prozess, so das Argument, würden Sicherheitsbelange der Bundesrepublik und deren internationale Beziehungen gefährdet.

Dass der Inhalt der Protokolle nun auf anderem Weg bekannt wurde und zudem von Verfassungsschützer Fromm bestätigt ist, könnte auch für das Verfahren von Motassadeq im Nachhinein bedeutend werden. Rein rechtlich können die jüngsten Entwicklungen zwar in der Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof, die für den 29. Januar angesetzt ist, keine Rolle spielen – denn in der Revision kommt es allein auf Rechtsfehler im abgeschlossenen Prozess und nicht darauf an, ob ein Urteil inhaltlich richtig ist oder falsch. Motassadeqs Revisionsanwalt Gerhard Strate will aber nicht ausschließen, dass die jüngsten Erkenntnisse „atmosphärisch“ eine Rolle spielen werden. Sollte die Revision dennoch verworfen werden, so der Verteidiger, wäre die entlastende Aussage von Verfassungsschützer Fromm ein Grund, die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Motassadeq zu beantragen.