Danziger Tagebuch (1): Sonntag, den 26.10.03
: Zwischen dienstbefreiten Pädagogen über Land

8 Uhr 30: Die Fahrt hat begonnen. Eingepfercht zwischen dienstbefreiten Pädagogen reist ein erstaunlich großes Rudel Journalisten von Bremen nach Danzig: Alle örtlichen Tageszeitungen plus Rundfunk. Die taz wird als Erste begrüßt. Ein Erfolgserlebnis, obwohl die Domchor-Sänger grummeln, es stünde zu selten etwas über ihren Chor in der taz.

Wozu der Auflauf? Bremen will Kulturhauptstadt Europas werden – und hat die Partnerstädte in den EU-Beitrittsländern als tolle Katalysatoren für die Bewerbung entdeckt. Jetzt muss Butter bei die Fische. Die Gelegenheit: Am 29. Oktober wird die Städtepartnerschaft Bremen-Gdánsk (sprich: Gdengsk; gemeint ist Danzig) mit dem Erwin- oder Erich – muss ich dringend nachgucken, bevor‘s Ernst wird – Brost-Preis ausgezeichnet, inklusive Festakt mit beiden Staatspräsis. Ein kleines Heer als Kulturbotschafter Bremens auf dem Weg an die Ostsee. Erster Kontakt: Ob die 40-köpfige Pinkel-Schlange an einer Gaststättentoilette zwischen Stettin und Danzig ein Symbol des innereuropäischen Zusammenwachsens ist? Der Gastronom schaut skeptisch. Sagt aber nix.

Die 14 Stunden Busfahrt vergehen wie im Inland-Flug, der gerade nach Kuba entführt wird. Pech für Manni und Klaus am Steuer: Nach Danzig führt keine Autobahn. Manche retten sich in heillose Doppelkopfsoli. Andere diskutieren über elektronische Fußfesseln. Die gesamte Reiselektüre: aufgebraucht. Zwei Romane. Verflixt.

Sehr angenehmer Empfang. Die Choristen müssen mit einer katholischen Zweibettzimmerunterkunft vorlieb nehmen. In ein Strandhotel abgewandert kümmert sich ein Teil der Jung-Journalisten um ISDN-Anschlüsse und Pipifax. „Ich kann sonst nicht ruhig schlafen. Sonst wäre am Ende alles umsonst.“ Andere flirten mit dem Mädel an der Bar und reflektieren mit Danziger Kulturschaffenden über Bolivien, Gott und was sonst noch auf der Tagesordnung steht. Eins zu null in punkto Trinkfestigkeit.

Benno Schirrmeister