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Archiv-Artikel

palastrevolte Solidarität wird gesittet intoniert

In der allgemeinen DDR-Seligkeit, die besonders westlich sozialisierte Individuen spätestens seit der Volkspalasteröffnung befallen hat, fragt man sich manchmal insgeheim, wieso eigentlich so viele echte (und keine gefühlten) Bürger dieses Wunderlandes unter Einsatz ihres Leben daraus entkommen wollten. Waren sie denn blind für die Segnungen ihrer demokratischen Republik? Allein das Design von Mitropa-Gaststätten oder Republikpalästen, von Grenztürmen und Selbstschussanlagen hätte ihnen doch klar machen müssen, in welchem Utopia sie lebten. Unsereins schlich im Westen orientierungslos durch gesichtslose Fußgängerzonen und suchte bei Karstadt vergeblich nach irgendeiner Form von Identität. In der DDR hatte das Leben schon per Verordnung einen Sinn, und als Bürger war man schon mit der Geburt zum neuen und besseren Menschen ernannt. Warum haben bloß so viele diesen Geburtsadel abgelehnt und uns um unsere Kaufhäuser und Fußgängerzonen so sehr beneidet, dass sie tatsächlich in Kauf nahmen, auf dem Weg zu uns sogar ums Leben zu kommen?

In der schön konservierten Ruine des Palasts der Republik konnte man letzte Woche noch einmal die Schönheit des sozialistischen Liedguts genießen. Über Leuchtbalken aus Scheinwerferlicht defilierten zwischen zwei Zuschauertribünen etwa 60 Schauspieler und Sänger. Erst sagten sie nichts, dann fingen sie an, Rudimente von Wolfgang Langhoffs KZ-Hymne „Moorsoldaten“ zu singen. Ja, dachte man, selbst von diesen berühmten und wirklich erlittenen Liedern sind nur noch Ruinen übrig. Und hoffte auf erhellenden Fortgang des Abends, der Beschäftigung mit der Frage versprochen hatte, was uns das Arbeiterlied heute noch vermitteln kann. Am Ende musste man leider zu dem Ergebnis kommen, dass zumindest in Ulrich Rasches Darreichungsform uns das Arbeiterlied außer Andacht gar nichts mehr vermitteln kann. Wie ein avantgardistischer Kirchenchor schritten die Sänger immer aufs Neue durch die Zuschauerreihen, kanonische Restzeilen des „Solidaritätsliedes“ oder vom „Lied der Einheitsfront“ intonierend. Gesittete Sprechchöre zitierten dazwischen Sätze aus Arbeiten des Sozialphilosophen Maurizio Lazzarato, die noch nicht einmal dessen subversive Theorien wirklich zur Anschauung brachten. Sehr schade!

In der kommenden Woche stehen weiter die Diskurse der untergegangenen DDR auf dem Programm, und wir wünschen uns, dass zum Beispiel die DDR-Propagandafilme (13. 10.) nicht nur wie ausgestorbene exotische Tiere präsentiert werden, sondern bei der Vorführung auch die einst so beliebte Diskurstechnik namens Dialektik zur Anwendung kommt. Es gibt Führungen durch den Palast, schulklassenkompatibel bereits ab vormittags. Am Donnerstag eröffnen Studenten des Studiengangs Interface Design der Fachhochschule Potsdam ihr Projekt „Volkstreppen“, das die alten Rolltreppen des Palasts in interaktive Skulpturen zu verwandeln verspricht. Am Wochenende nimmt dann eine interdisziplinäre Architekturkonferenz die kapitalistische Variation des Prinzips Volkspalast in den Blick, die vom britischen Architekten Cedric Price bereits 1961 als „Fun Palace“ entworfen wurde. Natürlich wird dabei auch wieder mal kräftig gebrainstormt werden, was aus dem Schlossplatzareal in Zukunft werden soll.

ESTHER SLEVOGT

Heute, 23 Uhr: Shrinking Cities Kino – Die Nacht des Horror-Thrillers. Bernard Rose: „Candy Man“. Sonntag: Fun Palace Architekturkonferenz, ab 18 Uhr: Le Bal Moderne, ab 21 Uhr Ballnacht mit DJ Herzfeldt