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Archiv-Artikel

Nele und Lasse im Gesünderland

Was unterscheidet einen Biosupermarkt von einer Handelskette? Und was ist korrekt: Ökoprodukte mit dem Auto oder Massenware mit dem Fahrrad einkaufen fahren? Tetrapak oder Flasche? Ein Selbstversuch im größten Biomarkt Europas

von PHILIPP GESSLER

Selbst die Reklame atmet einen neuen Geist: „LPG – der größte BioMarkt in Europa“. Das ist nicht gerade bescheiden, vielmehr ziemlich reißerisch, um ganz ehrlich zu sein. Tatsächlich klassisch kapitalistisch, mit 70 Parkplätzen. Und das ist schon etwas ungewöhnlich für einen Bioladen – sorry: BioMarkt. Denn, nicht wahr?, Bioläden, das waren doch früher die kleinen Schuppen, wo gesunde Ernährung mit fast hundertprozentiger Sicherheit einher ging mit linker, antikapitalistischer Gesinnung.

Anders bei der „LPG“ am Kreuzberger Mehringdamm: Da scheint es mit dem Kapitalismus keine Probleme zu geben – ist das nicht viel ehrlicher als die verschrubbelte, versteckte Freude am Geldverdienen, die Entschuldigung, halt doch Geld abknöpfen zu müssen, aber so zu tun, als sei einem das irgendwie unangenehm? Nein, die „LPG“ spielt nur noch bei ihrem Namen mit antikapitalistischem (DDR-)Flair. Und vielleicht mag es auch noch ein Rest von Marktwirtschaftsferne sein, dass man bei der LPG Mitglied werden kann (samt nicht unbeträchtlichem monatlichem Mitgliedsbeitrag), was die Einzelpreise für die Waren verbilligt.

Der Kunde ist also irgendwie Mitglied in einem Bioclub. Kein Wunder, dass manche an der Käsetheke noch duzen. Dabei fühlt man sich nun wirklich nicht mit allen freundschaftlich oder kameradschaftlich verbunden. Videokameras im Laden sprechen für sich.

„70 Parkplätze“ will die LPG laut Eigenwerbung haben – das ist auch wieder so etwas, was nicht recht reinpasst in die schöne Ökowelt, aber vielleicht muss man im 21. Jahrhundert anders denken. Es gibt ja längst so etwas wie Emissionsschutzhandel (oder wie das heißt), bei dem andere Unternehmen dafür bezahlt werden, dass man selbst mehr Dreck machen kann. Ist ein Großeinkauf in der „LPG“ mit dem Auto nicht vielleicht am Ende in der Ökobilanz positiver als ein Einkauf per Fahrrad bei einem Billigdiscounter?

Ach, die Gewissheiten sind längst verloren gegangen: Was ist schon noch „öko“-korrekt? Die Milch in den Regalen beispielsweise: Ist nun die Pappverpackung in Sachen Ökobilanz besser als die gleiche Ökomilch in schweren, klobigen Milchflaschen, die dann auch noch gespült zurückgeschleppt werden müssen? Eine alte Streitfrage, schon klar.

Auf jeden Fall sind die Tetrapaks immer sofort weg, vor allem Samstagvormittags, wenn die Familieneinkäufe erledigt werden. Eine Anfrage an einen Milchflaschen (!) einordnenden „LPG“-Mitarbeiter vor einem völlig von Tetrapaks geleerten Regal nach der Samstagsmorgen-Einkaufsschlacht, warum denn bei dieser offensichtlichen Präferenz der Kunden nicht völlig auf die Flaschen verzichtet werde, ergab: Täte man dies, verrate man ja wohl alles, wofür man angetreten sei – ein bisschen zugespitzt wiedergegeben.

Aber es ist eindeutig: Dies ist die Zukunft des Bioladens. Es ist einfach modern. Eine Digitalkamera macht ein Foto von einem, schon wirft ein Drucker einen Mitgliedsausweis aus. Der wird an der Kasse („Sind Sie Mitglied?“) zunächst eingelesen, damit alle Preise bei Bejahung der Frage für dieses Mitglied verbilligt werden.

Die Kassen selbst sind natürlich mit einem Laser-Ablesegeräte ausgestattet, das auch das Gewicht erfasst. Fast schick. Nervig nur, wenn manche Kunden jede einzelne Sherry-Tomate, um Plastiktüten zu sparen oder so, einzeln auf die Waage legen – als Hintermann erfüllen einen dann üble Mordgelüste.

Überhaupt, das Publikum: Abgesehen von taz-Redakteuren, die dort, horribile dictu, an manchen Samstagen gleich halbdutzendweise anzutreffen sind, besteht die Kundschaft vor allem aus Kindern, meist mit Namen wie Nele, Lennart oder Lasse. Vor lauter Kinderwagen ist da oft kein Durchkommen, von ziviler Ruhe ganz zu schweigen. Klar, der Nachwuchs kommt spät, ist selten und uns Ökoeltern teuer. Deshalb gehen wir ja auch dorthin, damit wir wenigstens das Kind gut ernähren. Was tut man nicht alles für die Brut – und der Laden brummt!

Aber, und das ist vielleicht das Erfolgsgeheimnis der „LPG“: Der neue Laden in Moosgrün und Orange erreicht eben nicht nur den Müslimümmler mit den naturgefetteten Haaren, sondern auch die ziemlich schicke Büro-Jil-Sander und den eher nach CDU-Wähler aussehenden Durchschnittsbürger: Muss das nicht die Zukunft der ökologischen Bewegung sein, wenn sie Erfolg haben will?

Am Ende, diese These sei gewagt, ist es eben der Preis, der das Hauptargument für die „LPG“ ist. Denn preislich ist der Einkauf im „größten BioMarkt in Europa“ nur noch wenig teurer als bei Aldi, Lidl, Kaiser’s, Penny und Co. Gesundheit, Natur und Gewissen werden also geschont, ohne dass diese guten Taten durch ein leereres Portemonnaie zu bezahlen sind. Öko-Bewusstsein ist schön, aber es darf nicht zu viel kosten. Dieses ausgesprochen pragmatische Prinzip haben die „LPG“ler offenbar verstanden. Ist das nun Verrat an der guten Sache und reinen Lehre – oder einfach Einsicht in die Natur des Menschen? Oder des Marktes?

Wie viel verdienen eigentlich die „LPG“-Manager? Machen sie die Mini-Bioläden kaputt? Und: Wäre das so schlimm?

Bleibt schließlich noch die Frage: Schmeckt denn der märkische Ziegenkäse dort auch besser? Aber ja doch! Es schmeckt besser als bei den großen Einkaufsladenketten, das ist nicht nur Einbildung. Die Aldi-Brüder, das ging kürzlich durch die Presse, verdienen jährlich 15 Milliarden Euro. Ist es nicht schon eine gute Tat, diese Leute zu boykottieren – auch wenn man mit dem Auto zur „LPG“ fährt?