piwik no script img

Archiv-Artikel

Dem Karlsruher Müllwunder droht das Aus

Mit Thermoselect wollte EnBW aus Abfällen Energie gewinnen – und erntete doch bloß Millionenverluste

KARLSRUHE taz ■ Kaputte Müllkräne, platzende Pumpen und eine Brenner-Ummantelung, die den Temperaturen nicht standhält – schnell hatte die Müllverbrennungsanlage Thermoselect im Karlsruher Rheinhafen ihren Namen weg: Thermodefekt. Fast fünf Jahre nach der Inbetriebnahme kämpfen die Ingenieure noch so mit der Technik, dass die Anlage meist nur auf halber Flamme kocht. Als wirtschaftlich und umweltfreundlich hatte die Thermoselect-Mutter Energie Baden-Württemberg (EnBW) das Verfahren einst gepriesen, doch es wurde vor allem eins: teuer. Rund 400 Millionen Euro Verluste gesteht ein Unternehmenssprecher ein, manche Branchenkenner sprechen gar von 500 Millionen. Um den Schaden zu begrenzen, stellte EnBW-Sanierer Utz Claassen vor gut einem Monat ein Ultimatum: Bis Jahresende muss der neue Thermoselect-Chef Hans Karl Mucha beweisen, dass sein Unternehmen wirtschaftlich arbeiten kann, sonst schaltet Claassen den High-Tech-Müllofen aus.

„Wenn die EnBW aus Thermoselect aussteigt, könnte das den Tod des ganzen Verfahrens bedeuten“, sagt Günter Busch, Professor für Abfallwirtschaft an der TU Cottbus. Von der Idee sind Busch und viele andere Ingenieure nach wie vor überzeugt: Was vorne als Müll reingeht, kommt hinten als Synthesegas wieder raus, mit dem Strom und Fernwärme erzeugt wird. Außerdem bleiben Metalle und Mineralien in einem glasartigen Zustand übrig, die sich wieder verwenden oder gefahrlos entsorgen lassen. Tolle Technik, die der Umwelt hilft – in der Theorie.

Die Praxis sorgte dafür, dass Thermoselect in den ersten drei Betriebsjahren keine Dauerbetriebsgenehmigung bekam und nicht einmal ein Fünftel der vorgesehenen Müllmenge bewältigte. Ähnliche Projekte waren in Hanau (Hessen), Ansbach (Bayern) und Herten (Nordrhein-Westfalen) geplant, doch die Probleme in Karlsruhe schreckte die Investoren ab. Auch in diesem Jahr wird Thermoselect nur gut die Hälfte des vertraglich vereinbarten Mülls verbrennen. „Thermoselect ist eine Anlage der Extreme, etwa was Temperaturen oder den Druck angeht“, erklärt Busch. „Zu vielen Komponenten gibt es kaum ingenieurwissenschaftliche Erfahrungen.“ Das mag die Pannen für einen Ingenieur entschuldigen, für den ehemaligen Unternehmensberater Claassen nicht. Günter Dehoust vom Darmstädter Büro des Öko-Instituts würde Thermoselect nicht nachweinen: „Die Anlage konnte nicht beweisen, dass es die vielen Versprechen – billig, kaum Emissionen, gut verwertbare Rückstände – halten kann.“ Bestehende Müllverbrennungsanlagen seien nachgerüstet, neue würden kaum noch gebraucht. „Die Zeit ging an Thermoselect vorbei“, urteilt Dehoust.

Nach einem Aus für Thermoselect würde zumindest der Konkurrent Siemens Genugtuung verspüren: Dessen technisch verwandtes Schwel-Brenn-Verfahren war vor fünf Jahren nach einem Unfall eingestellt worden – und die Karlsruher sahen nach dem sicheren Sieger im Kampf um die beste Müllverbrennungsanlage aus. Bis aus Thermoselect Thermodefekt wurde.

BERND MIKOSCH